Du musst die Wahrheit sagen
sehen.«
»Ist es wieder ein Film?«
»Nein.«
»Kannst du mir keinen Hinweis geben?«
»Es ist ein langes Ding voller kleiner Sachen.« Sie lachte.
»Du hast aber eine schmutzige Fantasie.«
»Es ist wahr. Es ist lang.«
»Wie lang?«
»Hundertzwanzig.«
»Zwanzig?«
»Hundertzwanzig. Wenn es am längsten ist.«
Sie lachte laut.
»Schrumpft es, wenn es im Wasser ist?«
»Man soll es nicht mit ins Wasser nehmen. Ich glaube, dann funktioniert es nicht.«
»Du machst Witze.«
»Es ist wahr.«
»Hast du denn nur Blödsinn im Kopf?«
»Wir lassen es«, sagte ich. »Du brauchst es dir nicht anzusehen.«
»Danke.«
»Ich kann dir was anderes zeigen.«
»Was?«
»Ein Haus.«
»Euer Haus kenne ich.«
»Es gibt noch eins.«
»Das euch gehört?«
»Das uns vielleicht einmal gehören wird.«
»Und wo steht dieses Haus, wenn man fragen darf?«
»Hier neben unserem.«
»Und wer wohnt dort?«
»Im Augenblick niemand. In dem Haus gibt es eine große Wandmalerei, genau wie in unserem.«
»Mit drei nackten Frauen?«
»Mit drei nackten Männern«, sagte ich.
Sie seufzte. Im Hintergrund fuhr die Vorortbahn vorbei. Der Zug pfiff.
»Wir hören jetzt auf«, sagte sie.
»Komm rüber. Wir können Tee trinken.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Und du kannst mir etwas zeigen. Vielleicht fängt es wieder an zu regnen. Hab keine gute Jacke, werde nass.«
»Wir sehn uns«, sagte ich.
»Vielleicht«, sagte Nadja, »im nächsten Leben.«
»Bist du Buddhistin?«
»So ungefähr.«
»Als was wirst du wiedergeboren?«
»Als Gepard. Ich hör jetzt auf.«
Und dann war es in der Leitung still.
Niemand zu Hause. Ich duschte und holte eine andere Jeans, Unterwäsche, dicke Strümpfe und einen gelben Winterpullover. Ich hatte das Gefühl, als würde mir nie wieder warm werden. Die nassen Sachen lagen auf einem traurigen Haufen zwischen dem Bett und der Abseitentür. Ich kroch unter die Decke und erzählte van Gogh, was mit meinem Fahrrad passiert war.
Er lachte und sagte, jetzt bist du dran. Wenn Tubal dich in die Finger kriegt, ist es aus mit dir. Tubal wird dein Aussehen entscheidend verändern. Vielleicht hilft ihm Ludde mit dem Eisenrohr.
Ich konnte nicht still im Bett liegen bleiben. Die Fantasie ging mit mir durch. Ich erwog, Dick anzurufen, aber was konnte er tun? Seine Tochter war nicht gerade eine große Hilfe gewesen.
Ich ging nach draußen. Es war jetzt ziemlich windig, von der Eiche waren Laub und Reisig gefallen. Ich ging auf die Straßeund zu Bergers Pforte. Im Briefkasten steckten eine Reklamezeitung und ein Brief von einer deutschen Lotterie. Ich nahm die Post heraus und betrat das Grundstück. Die Dachse hatten wieder gewütet. Eine der Mülltonnen war umgekippt, und im Gras verstreut lagen Plastiktüten und anderer Abfall. Vor dem Tisch, an dem Berger zu sitzen pflegte, lagen fünf Enten. Sie standen auf und watschelten quakend hinunter zum See.
Als ich ins Haus kam, ging ich in die Küche und schloss das Fenster. Es roch nicht mehr nach Müll. Dann legte ich die Post auf den Wohnzimmertisch und setzte mich auf Bergers Stuhl. Die drei gemalten Gesichter lächelten mich an. Ich nahm die Zither auf meine Knie und zupfte ein bisschen darauf herum.
Ich hätte fragen sollen, in welches Krankenhaus sie ihn bringen würden. Hätte ich es gewusst, hätte ich ihn besuchen können. Dann überlegte ich, ob ich Mama anrufen und fragen sollte, aber sie würde sich nur Sorgen machen, weil ich nicht in der Schule war. Also ließ ich es.
Nach einer Weile begann ich, seine Schränke zu inspizieren. Ich weiß nicht, wonach ich suchte, vielleicht nach weiteren Kartons mit Fotografien, aber ich fand keine Fotos mehr.
Stattdessen fand ich seine Anzüge. Er besaß sechs. Einen von ihnen zog ich an. Es war ein schwarzer Anzug mit dünnen grauen Streifen, der ziemlich abgetragen wirkte. Er steckte in einem Plastiküberzug, und an der Hose hing noch ein roter Zettel von der chemischen Reinigung. Wenn Berger nicht breitere Schultern hätte, dann hätte mir der Anzug gepasst. Die Armlänge war gerade richtig. Ich betrachtete mich im Flurspiegel. Was würden sie wohl in der Schule sagen, wenn ich in diesem Outfit auftauchte? Ich holte auch ein Paar Schuhe hervor. Sie passten perfekt. Auf einem Bord lagen drei Hüte. Ich setzte mir einen hellgrauen auf und stellte mich vor den Spiegel, der an der Innenseite der Schranktür angebracht war. Ich sah aus wie ein italienischer Gangster.
Dann zog ich meine eigenen Sachen
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