Du oder das ganze Leben
Schlüsselbund. »Vergiss das Taxi. Ich fahr dich nach Hause.«
»Ich fahre sie«, schaltet Alex sich ein.
Isabel scheint es leid zu sein, sich mit uns auseinandersetzen zu müssen, ähnlich wie Mrs Peterson in Chemie. »Möchtest du lieber, dass ich dich fahre oder Alex?«, fragt sie.
Ich habe einen Freund. Okay, ich gebe zu, jedes Mal, wenn ich Alex erwische, wie er mich ansieht, breitet sich eine wohlige Wärme in meinem Körper aus. Aber das ist völlig normal. Wir sind zwei Jugendliche, die sich offensichtlich sexuell zueinander hingezogen fühlen. Solange ich dem nicht nachgebe, ist alles gut.
Denn wenn ich dem Gefühl nachgeben würde, wären die Konsequenzen katastrophal. Ich würde Colin verlieren. Ich würde meine Freunde verlieren. Ich würde die Kontrolle über mein Leben verlieren.
Aber vor allem würde ich verlieren, was von der Liebe meiner Mutter zu mir noch übrig ist.
Wenn mich die Welt nicht mehr für perfekt halten würde, wäre das, was gestern zwischen meiner Mutter und mir passiert ist, noch harmlos. In den Augen aller anderen perfekt zu sein, steht in direktem Zusammenhang dazu, wie meine Mutter mich behandelt. Wenn irgendeiner ihrer Country-Club-Freunde mich mit Alex sieht, könnte meine Mom ganz schnell zur Außenseiterin werden. Und wenn sie von ihren Freunden geschasst wird, werde ich von ihr fallen gelassen. Dieses Risiko kann ich nicht eingehen. So viel dazu, wie viel Wahrhaftigkeit ich mir erlauben kann.
»Isabel, bring mich nach Hause«, sage ich, dann sehe ich Alex an.
Er schüttelt leicht den Kopf, schnappt sich sein T-Shirt und seine Schlüssel und stürmt ohne ein weiteres Wort aus der Tür.
Ich folge Isabel schweigend zu ihrem Auto.
»Du empfindest mehr für Alex als nur Freundschaft, oder?«, frage ich.
»Er ist fast wie ein Bruder für mich. Wir kennen uns schon, seit wir Kinder waren.«
Während der Fahrt gebe ich ihr Anweisungen, wie wir zu mir kommen. Sagt sie mir die Wahrheit? »Du findest ihn nicht attraktiv?«
»Ich habe ihn schon wie ein Baby weinen sehen, weil sein Eis auf die Straße gefallen war, als wir vier waren. Ich war für ihn da, als … nun, belassen wir es bei der Tatsache, dass wir eine Menge zusammen durchgemacht haben.«
»Eine Menge? Willst du das vielleicht näher ausführen?«
»Nicht dir gegenüber.«
Ich kann die unsichtbare Scheibe beinah sehen, die zwischen uns hochfährt. »Hier endet also unsere Freundschaft?«
Sie sieht mich von der Seite an. »Unsere Freundschaft hat gerade begonnen, Brittany. Übertreib es nicht.«
Wir sind fast da. »Es ist das dritte Haus auf der rechten Seite«, sage ich.
»Ich weiß.« Sie hält den Wagen vor meinem Haus, ohne sich die Mühe zu machen, in unsere Auffahrt einzubiegen. Ich sehe sie an. Sie sieht mich an. Erwartet sie von mir, dass ich sie hineinbitte? Ich lasse noch nicht einmal gute Freunde ins Haus.
»Hey, danke fürs Nachhausebringen«, sage ich. »Und dafür, dass ich bei dir ausnüchtern durfte.«
Isabel wirft mir ein müdes Lächeln zu. »Kein Problem.«
Ich umklammere den Türgriff. »Ich werde nicht zulassen, dass irgendetwas zwischen mir und Alex läuft, okay?« Selbst wenn da etwas unter der Oberfläche brodeln sollte.
»Gut. Denn wenn ihr nicht höllisch aufpasst, wird euch euer schönes Leben um die Ohren fliegen.«
Die Umpa Lumpas hämmern wieder los, deshalb kann ich nicht intensiv über ihre Warnung nachdenken.
Im Haus sitzen meine Mutter und mein Vater am Küchentisch. Es ist ruhig. Zu ruhig. Vor ihnen liegen Papiere. Broschüren oder so. Sie richten sich schnell auf, wie kleine Kinder, die man bei etwas Falschem ertappt hat.
»Ich … ich dachte, du wärst no-noch bei … Sierra«, sagt meine Mutter. Sofort beginnen bei mir sämtliche Alarmglocken zu schrillen. Meine Mom stottert nie. Und sie hat auch noch kein Wort darüber verloren, wie ich aussehe. Das ist gar nicht gut.
»Ich war dort, aber ich habe mörderische Kopfschmerzen bekommen«, erwidere ich auf sie zugehend und die verdächtigen Broschüren in Augenschein nehmend, an denen meine Eltern so interessiert sind.
Haus Sonnenschein. Das Heim für besondere Menschen.
»Was macht ihr beiden da?«
»Wir besprechen unsere Optionen«, sagt mein Dad.
»Optionen? Waren wir uns nicht alle einig, dass es eine schlechte Idee ist, Shelley wegzugeben?«
Meine Mom wendet sich mir zu. »Nein. Du hast beschlossen, dass es eine schlechte Idee ist. Wir überlegen es uns immer noch.«
»Ich gehe nächstes Jahr auf die
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