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Du oder das ganze Leben

Titel: Du oder das ganze Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Elkeles
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sitzt. Wie gewöhnlich hockt mein fauler Freund so da, bis der Ball in seine Spielhälfte rollt.
    Die meisten der hier versammelten Jungs sind aus meiner Nachbarschaft. Wir sind zusammen aufgewachsen, haben auf diesem Spielplatz gespielt, seit wir Kinder waren und sind sogar zur gleichen Zeit der Bruderschaft beigetreten. Ich erinnere mich, dass Lucky mir vor meinem Aufnahmeritual erzählte, einer Gang anzugehören, sei wie eine zweite Familie zu haben, eine Familie, die für dich da sein würde, wenn die eigene Familie dich im Stich ließe. Sie würde Schutz und Sicherheit bieten. Für ein Kind, das seinen Vater verloren hatte, klang es verführerisch.

    Über die Jahre habe ich gelernt, den ganzen üblen Kram auszublenden. Die Schlägereien, die dreckigen Drogengeschäfte, die Schießereien. Und ich rede nicht nur über die Typen von der anderen Seite. Ich kenne Kerle, die versucht haben, auszusteigen, die tot oder dermaßen aufgemischt gefunden wurden, dass sie sich wahrscheinlich gewünscht haben, tot zu sein. Und das hat ihnen die eigene Gang angetan.
    Um ehrlich zu sein, ich verdränge es, weil es mir eine Scheißangst einjagt. Man erwartet von mir, tough genug zu sein, dass es mir nichts ausmacht. Aber es macht mir was aus.
    Wir nehmen unsere Positionen auf dem Spielfeld ein. Ich stelle mir vor, der Ball sei ein Jackpot. Wenn ich ihn vor allen anderen abschirme und ins Tor schieße, werde ich mich auf magische Weise in einen reichen, mächtigen Typen verwandeln, der seine Familie (und Paco) aus dieser Hölle von Nachbarschaft wegschaffen kann.
    In beiden Mannschaften sind etliche gute Spieler. Die anderen sind im Vorteil, weil wir Paco als Torhüter haben, der sich am anderen Ende des Feldes in Seelenruhe an den Eiern kratzt.
    »Yo, Paco. Hör auf, an dir rumzuspielen!«, ruft Mario.
    Als Antwort macht Paco eine Riesenshow daraus, sich mit beiden Händen an die Eier zu greifen und sie zu massieren. Chris schießt den Ball direkt an ihm vorbei und trifft – Tor!
    Mario holt den Ball aus dem Netz und wirft ihn nach Paco. »Wenn du dem Spiel genauso viel Aufmerksamkeit schenken würdest wie deinen Eiern, hätten sie kein Tor gemacht.«
    »Ich kann nichts dafür, wenn sie jucken, Mann. Deine Freundin muss mir letzte Nacht einen Sack Flöhe verpasst haben.«
    Mario lacht, da er nicht eine Sekunde glaubt, seine Freundin würde ihn betrügen. Paco schmeißt Mario den Ball zu, der ihn zu Lucky weiterspielt. Lucky bringt den Ball Richtung Mittellinie. Er gibt an mich ab und ich bekomme meine Chance. Ich
dribble das von uns abgesteckte Feld entlang und stoppe nur kurz, um abzuschätzen, wie weit ich noch habe, bevor ich einen Torschuss wagen kann.
    Ich täusche links an, gebe an Mario ab, der sofort zu mir zurückspielt. Mit einem eleganten Schuss segelt der Ball rechts am Torhüter vorbei und wir haben den Ausgleich erzielt.
    »Toooor!«, jubelt unser Team, während Mario mir high five gibt.
    Mit unserer Ausgelassenheit ist es jedoch schnell vorbei. Ein blauer Escalade rollt verdächtig langsam die Straße entlang.
    »Kennst du den?«, fragt Mario angespannt.
    Das Spiel ist sofort vergessen, als den Jungs aufgeht, dass etwas nicht stimmt. »Vielleicht ist es eine Vergeltungsmaßnahme«, sage ich.
    Meine Augen lösen sich keinen Moment vom Wagenfenster. Als das Auto anhält, warten wir alle darauf, einen Blick auf etwas oder jemanden im Inneren des Wagens zu erhaschen. Wir sind gewappnet.
    Und doch bin ich es nicht. Mein Bruder Carlos steigt mit einem Typen namens Wil aus dem Auto. Wils Ma ist in der Gang und rekrutiert neue Mitglieder. Mein Bruder ist besser keins von ihnen. Ich habe ihm wieder und wieder erklärt, dass ich ein Latino Blood bin, damit er keins sein muss. Wenn ein Familienmitglied dabei ist, steht der Rest unter dem Schutz der Bruderschaft. Ich bin dabei. Carlos und Luis sind es nicht und ich würde alles tun, damit das so bleibt.
    Ich setze ein betont entspanntes Gesicht auf und gehe rüber zu Wil. Das Fußballspiel ist vergessen. »Neues Auto?«, frage ich ihn und begutachte seine Felgen.
    »Es gehört meiner Mom.«
    »Schick.« Ich wende mich meinem Bruder zu. »Wo habt ihr Jungs euch rumgetrieben?«

    Carlos lehnt sich an den Wagen, als sei mit Wil abzuhängen keine große Sache. Wil ist vor Kurzem der Gang beigetreten und hält sich seitdem für den Größten. »In der Mall. Sie haben da diesen coolen, neuen Gitarrenladen. Hector hat uns dort getroffen, und …«
    Habe ich richtig gehört?

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