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Du oder das ganze Leben

Titel: Du oder das ganze Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Elkeles
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sehr viel Geduld, als er mir bis ins Kleinste Anweisungen gibt, wie ich runterschalten soll, bis wir schließlich am Ende der Landebahn angekommen sind. Seine Finger sind immer noch um meine geschlungen.
    »Fahrstunde vorbei?«, frage ich.
    Alex räuspert sich. »Hm, ja.« Er nimmt seine Hand von meiner und fährt sich mit den Fingern durch seine schwarze Mähne, deren Strähnen ihm lose in die Stirn fallen.
    »Danke«, sage ich.
    »Schon gut, meine Ohren sind jedes Mal fast abgefallen, wenn ich deinen Motor auf dem Schulparkplatz hab röhren hören. Ich hab’s nicht getan, um nett zu sein.«
    Ich drehe meinen Kopf zur Seite und versuche, ihn dazu zu bewegen, mich anzusehen. Was er nicht tut. »Warum ist es so wichtig für dich, als knallharter Typ zu gelten? Verrat es mir.«

24
    Alex
    Wir führen zum ersten Mal eine zivilisierte Unterhaltung. Jetzt muss ich mir etwas einfallen lassen, um ihren Verteidigungswall zu durchbrechen.
    Oh Mann. Ich muss etwas von mir preisgeben, das mich verwundbar macht. Wenn sie mich für verwundbar hält, statt für ein Arschloch, habe ich vielleicht eine Chance bei ihr. Und irgendwie weiß ich, dass sie es merken wird, wenn ich ihr etwas vorlüge.
    Ich bin nicht sicher, ob ich es wegen der Wette tue, für unser Chemieprojekt oder für mich. Tatsache ist, es fühlt sich gut an, nicht zu analysieren, was hier gerade passiert.
    »Mein Vater ist direkt vor meinen Augen ermordet worden, als ich sechs war«, sage ich leise.
    Ihre Augen weiten sich. »Wirklich?«
    Ich nicke. Ich rede nicht gern darüber und bin mir nicht sicher, ob ich es könnte, selbst wenn ich es wollte.
    Ihre manikürten Hände fahren unwillkürlich zu ihrem Mund. »Das wusste ich nicht. Es tut mir so leid. Das muss schlimm gewesen sein.«
    »Stimmt.« Es rauszulassen, fühlt sich gut an. Mich zu zwingen, es auszusprechen. Das nervöse Lächeln meines papás , das sich in einen schockierten Gesichtsausdruck verwandelte, kurz bevor er erschossen wurde.

    Wow, unglaublich, dass ich mich an seinen Gesichtsausdruck erinnere. Warum hätte sein Lächeln von einem Schock abgelöst werden sollen? Dieses Detail hatte ich bis jetzt ganz vergessen. Ich bin immer noch durcheinander, als ich mich Brittany zuwende. »Wenn ich zu sehr an irgendwas hänge und es mir weggenommen wird, fühle ich mich wie an dem Tag, an dem mein Vater starb. So will ich mich nie wieder fühlen, also sorge ich dafür, dass mir nichts etwas bedeutet.«
    Ihre Miene ist voller Bedauern, Trauer und Mitleid. Nichts davon ist aufgesetzt, das sehe ich.
    Ihre Augenbrauen sind immer noch gerunzelt, als sie sagt: »Danke, dass du es mir erzählt hast. Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie man es hinkriegt, dass einem nichts etwas bedeutet. So kann man sich doch nicht programmieren.«
    »Soll’n wir wetten?« Plötzlich will ich unbedingt das Thema wechseln. »Du bist dran mit Erzählen.«
    Sie wendet den Blick ab. Aus Angst, dass sie sich dadurch der Situation bewusst werden und nach Hause fahren könnte, dränge ich sie nicht, etwas zu sagen.
    Ist es möglich, dass es für sie schwieriger ist, mir einen kurzen Blick in ihr Leben zu gewähren? Mein Leben war bisher dermaßen beschissen, dass es verdammt schwer zu glauben ist, ihres könnte noch ätzender sein. Ich sehe zu, wie eine einzelne Träne sich von ihrem Auge löst und schnell von ihr weggewischt wird.
    »Meine Schwester …«, beginnt sie. »Meine Schwester hat Zerebralparese. Und sie ist geistig behindert. Zurückgeblieben, nennen es die meisten Leute. Sie kann nicht laufen, sie benutzt verbale Laute und nonverbale Hinweise statt Wörtern, weil sie nicht sprechen kann …« Als sie das sagt, löst sich eine zweite Träne von ihren Wimpern. Dieses Mal wischt sie sie nicht weg. Ich habe das Bedürfnis, sie für sie abzuwischen, spüre aber, dass
sie meine Berührung im Moment nicht ertragen könnte. Sie holt tief Luft. »Und sie ist wütend wegen irgendetwas, aber ich weiß nicht weswegen. Sie hat angefangen, andere an den Haaren zu ziehen und gestern hat sie dermaßen an meinen gezogen, dass mir ein ganzes Büschel ausgerissen ist. Mein Kopf hat geblutet und meine Mutter hat mich deswegen fertiggemacht.«
    Daher also die mysteriöse kahle Stelle. Kein Drogentest.
    Zum ersten Mal tut sie mir leid. Ich hatte mir ihr Leben märchenhaft vorgestellt, so als sei das Schlimmste, was ihr passieren könnte, eine Erbse unter der Matratze, die sie nachts wach hält.
    Ich schätze, das ist nicht der Fall.
    Etwas

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