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Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Titel: Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ich physische Gewalt
sehr fürchte. Weil mich allein die Androhung physischer Gewalt alles verleugnen und verraten lässt, was anderen heilig ist. Ich wäre ein sehr schlechter Spion. Der Mann von der Gegenspionage müsste mich nur böse angucken, und schon würde ich plaudern. Man könnte mir sofort solche Decknamen geben wie »IM Wasserfall« oder »Flotter Otto«. Und entsetzt griff ich nach einem Glas Champagner, das gerade von einem Lakaien auf großem Tablett vorbeigetragen wurde. Marvie stand noch immer nichts ahnend und geborgen in den Fängen von Paps. In mir keimte Hoffnung auf: Paps würde schon alles richten. Er sah aus wie ein Mann, der die eine oder andere Handgreiflichkeit wohl zu verwalten wusste. Er war garantiert ein großer Schlichter vor dem Herrn. Wozu trug er schließlich diese Diplomatentolle? Und dann erschien er: der fettige Drohnenmann. Wie immer im schwarzen Autoren-Outfit brummte er geradezu durch die Gästeschar; man meinte, dass Bugwellen vor ihm herschwappten. Wie immer trug er seinen Künstlerhut, und über einem schwarzen Rollkragenpullover spannte sich keck eine gemusterte Weste, die von Weitem aussah wie aus eitel Brokat gefertigt. Neben ihm ging ein blondes Mädchen, das verschämt-stolz in die Runde guckte. Vermutlich stolz auf ihre prominente Trophäe, und vermutlich verschämt, weil diese Trophäe so hässlich war. Das Mädchen stellte ihre Trophäe einer Hand voll Schauspielschüler vor, und gleich ging es darum, dass der Wurstmann demnächst irgendeinen Dramatikerpreis verliehen bekäme, was er durchaus zu schätzen wisse, da es sich bei den bisherigen Preisträgern durchaus um unzurechnungsfähige Kollegen handle.
    Unser Club der Besorgten einigte sich nach hurtigem Durcheinanderreden auf das Prinzip »Ignorieren«. Laura und Katharina schoben sich an Marvie heran, um sie schonend vorzubereiten. Marvie sah entsetzt auf die blonde Begleiterin der Wurst und murmelte: »Das ist Ellen. Diese dumme Kuh.« Alexa nutzte den kurzen Leerlauf in unserer Konversation, um mich zu packen und über Auschwitz aufzuklären. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie der böse schwarze Dampfer immer näher kam. Und dann legte er bei uns an. Unsere Unterhaltungen erstarben, Marvie drehte sich von Paps weg und blickte nun genau in den Krater ihrer ehemaligen Beziehung. Aus dem Krater blubberte es. Es schien sich um Begrüßungsfloskeln zu handeln. Marvie errötete. Aus Angst, etwas zu verpassen, drehte Mendelssohn seinen Kopf wie eine hektische Comic-Figur. Von Paps war mir nicht klar, ob er im Bilde war. Falls doch, ließ er sich nichts anmerken und erwiderte das Geblubber sogar mit einem höflichen Gruß. »Aah, das muss der große Lövenich sein!«, kam es triefend aus des Wurstmanns Weste, die auch aus der Nähe aus eitel Brokat gefertigt schien. Leute gibt′s! Rennen im einundzwanzigsten Jahrhundert mit Hut und Brokatweste durch geschlossene Räume!
    Paps machte gute Miene, seine blauen Zapfen stießen in Richtung Wurst, und dann sagte mein zukünftiger Schwiegerpapa sehr ruhig: »Aah. Das muss der große Dichter sein.« Und damit war alles klar: Mobilmachung auf beiden Seiten, Gefahr im Verzug, und ordnungsgemäß schwanden mir Hasenfuß die Sinne. Sogar Alexa lockerte ihren
Klammergriff und sah erwartungsvoll zu Paps auf. Marvie verschwand in Paps′ riesigem Feiertagsjackett. Wissbegierig kreiselte Mendelssohn zwischen den Fronten. Mir fiel der schöne alte Militaristenspruch ein: »Mein Hut, mein Stock, mein EK1, wo ist die HKL?« Wobei EK1 für das Eiserne Kreuz steht, und HKL meint die Hauptkampflinie. Unsere HKL war der kürzeste Weg zwischen A und B, also der eng bemessene Raum zwischen dem Wurstmann und Paps. Der Wurstmann eröffnete mit bösartiger Freundlichkeit das Sperrfeuer:
    »Schön, dass ich Sie endlich einmal treffe! Gab es eine Amnestie? Oder handelt es sich um – wie nennt man das noch gleich, ach ja: Hafturlaub?«
    Paps hielt seine gute Diplomatenmiene durch, während des Wurstmanns Unverschämtheit mich zunächst erboste, doch dann fiel bei mir der Groschen: Hafturlaub – davon hatten die Geschwister doch gesprochen! Und der leider so lange auf Geschäftsreise befindliche Patriarch – kurz: Der große Lövenich war tatsächlich ein Knacki! Ja, so was! Wie ein schwerer Junge sah er nun gar nicht aus! Weit und breit kein Tattoo, keine Blutflecken, stattdessen ein wie maßgeschneiderter Festtagsanzug! Ich schaute auf seine Hände: keinerlei Zeichen einer

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