Du sollst meine Prinzessin sein
zurücklegte, klingelte sein Telefon.
Nicht das Telefon vor ihm auf dem Schreibtisch, sondern sein privates Mobiltelefon. Nur wenige Menschen besaßen diese Nummer. Stirnrunzelnd zog er das Handy aus der Tasche und klappte es auf.
„Rico?“
Diese Stimme erkannte er sofort. Wenn Jean-Paul anrief, hatte er selten gute Nachrichten – schon gar nicht zu dieser späten Stunde. Um diese Uhrzeit, das wusste Rico aus Erfahrung, war die Presse zu Bett gegangen. Und nur allzu oft handelten die Geschichten, mit denen eine bestimmte Sorte Journalisten einschlief, davon, mit wem er selbst geschlafen hatte.
Hatte das Pack etwa noch mehr peinliche Details über Carina Collingham ausgegraben?
„Okay, Jean-Paul, schon mich bitte nicht. Erzähl mir das Schlimmste.“
Doch was der Klatschkolumnist, einer seiner wenigenechten Freunde, zu berichten hatte, hatte nichts mit Carina Collingham zu tun, geschweige denn mit Ricos anderen Affären.
„Rico“, begann Jean-Paul, und seine Stimme klang ungewöhnlich ernst. „Es geht um Paolo.“
Rico erstarrte. Langsam ballte er seine freie Hand zur Faust.
„Wenn irgendjemand …“, sein Tonfall war leise und tödlich, „… glaubt, er könne ihn in den Schmutz ziehen …“
„Als Schmutz würde ich es nicht bezeichnen, Rico. Ich würde es …“, Jean-Paul schwieg lange, dann sagte er vorsichtig, „Problem nennen. Ein großes Problem.“
„ Dio , Paolo ist tot. Es ist über vier Jahre her, dass man seine Leiche aus dem Autowrack gezogen hat.“
Schmerz durchfuhr ihn. Selbst jetzt konnte er es nicht ertragen, sich daran zu erinnern, wie Paolo noch vor seinem zweiundzwanzigsten Geburtstag gestorben war. Er war der einzige der drei Söhne gewesen, der je die Liebe ihrer Eltern hatte gewinnen können. Es war, als wäre eine helle Flamme von der Dunkelheit ausgelöscht worden.
Die Nachricht hatte die Familie erschüttert. Selbst Luca hatte bei der Beerdigung in aller Öffentlichkeit geweint. Und jetzt, Jahre später, wagte es irgendein schmieriger Reporter, wieder über Paolo zu schreiben.
„Was für ein Problem?“, fragte er eisig.
„Es geht um das Mädchen, das bei dem Unfall mit ihm im Wagen war …“
„Welches Mädchen?“, fragte Rico langsam.
Und Jean-Paul erzählte ihm alles.
1. KAPITEL
„Oh my darling, oh my darling, oh my darling Benjamin …“
Lizzy sang munter weiter, während sie den Buggy die schmale Landstraße entlangschob. In dem Baum auf der Spitze des Hügels hatten sich Krähen versammelt. Das letzte Licht des Tages verflüchtigte sich nach Westen in Richtung Meer. Der Frühling neigte sich dem Ende zu. Gänseblümchen blühten am Straßenrand. Von der Atlantikküste her blies ein beständig zunehmender Wind, der ihre Haare, trotz des festen Pferdeschwanzes, in krissligen Strähnen vor ihr Gesicht wehte. Aber was kümmerte sie ihr schreckliches Haar, ihre Kleider von den Wohltätigkeitsverkäufen und ihr nichtssagendes Aussehen? Ben war es gleichgültig, und er war das Einzige auf der Welt, das wichtig war.
„Sing weiter“, bat er, kaum dass sie geendet hatte. Und sie tat ihm den Gefallen. Zudem war Ben ein unkritisches Publikum. Lizzy besaß keine gute Stimme, doch ihren vierjährigen Sohn störte das nicht. Auch nicht, dass seine Kleider und seine Spielsachen von allen erdenklichen Flohmärkten des kleinen Küstenstädtchens in Cornwall stammten.
Dass er keinen Daddy hatte, war ebenfalls kein Problem für ihn, obwohl die meisten anderen Kinder einen besaßen.
Er hat mich, und das ist alles, was er braucht, dachte Lizzy, umklammerte die Griffe des Buggys fester und beschleunigte ihre Schritte. Es war schon spät und wurde langsam dunkel. Aber Ben hatte so viel Spaß am Strand gehabt, dass sie länger als ursprünglich geplant geblieben waren.
Die Nähe zum Strand war der Hauptgrund für Lizzy gewesen, vor elf Monaten ihre Wohnung in London zu verkaufen und in das winzige heruntergekommene Cottage zu ziehen. Es war viel besser, ein Kind auf dem Land großzuziehen als in der Stadt.
Ihre Gesichtszüge wurden weich.
Ben. Benjamin.
Der Gesegnete.
Das bedeutete sein Name, und es entsprach ganz der Wahrheit. Er war gesegnet mit einem Leben voller Liebe, und sie war gesegnet mit ihm. Keine Mutter konnte ein Kind mehr lieben als sie.
Nicht einmal eine leibliche Mutter.
Tiefe Trauer breitete sich gemeinsam mit dem vertrauten Schmerz in ihr aus. Maria war so jung gewesen. Viel zu jung, um von zu Hause fortzugehen, viel zu jung, um als Model zu
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