Du sollst nicht sterben
trotz seiner Schmerzen erinnerte. Unter den Blinden ist der Einäugige König.
Genau das war er nun.
Er stieg aus dem Bus auf den Betonboden und hob das Fernglas an die Augen. Die Jagd begann.
113
Jetzt
Sonntag, 18. Januar
Der Abend verging langsam für Roy Grace. Er saß in seinem Büro und betrachtete die Informationen zu Jessie Sheldon, die eines seiner Teammitglieder zusammengestellt hatte. Ihr Computer wurde derzeit von zwei Mitgliedern der High-Tech Crime Unit untersucht, die ihren Sonntag dafür opferten.
Bislang wusste er nur, dass Jessie sehr aktiv in sozialen Netzwerken gewesen war – das hatte sie mit Dee Burchmore gemeinsam, die am Donnerstagnachmittag um ein Haar dem Vergewaltiger zum Opfer gefallen wäre.
Verfolgte er seine Opfer auf diesem Weg?
Mandy Thorpe war auf Facebook und in zwei weiteren Netzwerken aktiv gewesen. Doch weder Nicola Taylor noch Roxy Pearce waren Mitglieder in irgendeinem Netzwerk und auch nicht bei Twitter angemeldet.
Es bestand nur eine echte Verbindung zwischen den Frauen. Sie hatten vor kurzem in Brighton teure Schuhe gekauft. Alle außer Mandy Thorpe.
Obwohl Dr. Proudfoot weiterhin das Gegenteil behauptete, glaubte Grace nach wie vor, dass Mandy Thorpe von jemand anderem vergewaltigt worden war. Vielleicht von einem Nachahmungstäter. Vielleicht war die zeitliche Übereinstimmung nur ein Zufall.
Sein Telefon klingelte. Es war Michael Foreman aus der Soko-Zentrale 1.
»Gerade kam ein Bericht von Hotel 900, sie müssen tanken, Sir. Bislang gibt es nichts zu berichten bis auf zwei mögliche Anomalien in der alten Zementfabrik.«
»Anomalien?« Grace fragte sich, was die Hubschrauberbesatzung wohl damit meinte. Er wusste, dass sie eine Wärmebildkamera an Bord hatten, mit der man Menschen in absoluter Dunkelheit oder dichtem Nebel anhand ihrer Körperwärme erkennen konnte. Obwohl sich diese Methode gut eignete, um Verbrechern in Autos oder auf der Straße zu folgen, war sie nicht unfehlbar. Sie reagierte nämlich auch auf Tiere oder Gegenstände, die Wärme abstrahlten.
»Ja, Sir. Sie sind sich nicht sicher, ob es sich um Menschen handelt. Es könnten auch Füchse, Dachse, streunende Katzen oder Hunde sein.«
»Gut, schicken Sie eine Einheit hin, um es zu überprüfen. Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
Eine halbe Stunde später meldete sich DC Foreman erneut. Ein Streifenwagen hatte die Einfahrt zur alten Zementfabrik überprüft und berichtet, der Ort sei gesichert. Das verschlossene Tor sei drei Meter hoch und von Stacheldraht gekrönt. Außerdem gebe es umfangreiche Überwachungsmaßnahmen.
»Welche Art von Maßnahmen?«
»Fernüberwachung. SMRS, eine renommierte Firma aus Brighton. Falls dort drinnen etwas vorgeht, müssten sie es inzwischen gemerkt haben, Sir.«
»Der Name kommt mir bekannt vor«, sagte Grace.
»Die Polizei arbeitet mit ihnen zusammen. Ich glaube, die Türdisplays in Sussex House wurden von der Firma installiert.«
»Na schön.« Er kannte die Zementfabrik, wie jeder, der in der Stadt wohnte. Sie war eines der großen Wahrzeichen im Westen, und es wurde gemunkelt, sie solle nach beinahe zwei Jahrzehnten wieder in Betrieb genommen werden. Das Gelände war gewaltig und lag inmitten eines Kalksteinbruchs, der aus den Downs gehauen war. Sie bestand aus einer Reihe von Gebäuden, von denen jedes größer war als ein Fußballfeld. Er war sich nicht sicher, wer der derzeitige Eigentümer war, doch gab es vermutlich ein Schild am Eingang.
Für eine Durchsuchung musste er entweder die Erlaubnis der Eigentümer einholen oder einen Durchsuchungsbefehl vorlegen. Und für eine effektive Suche brauchte er ein großes Team. Das ging nur bei Tageslicht.
Er machte sich sofort eine Notiz für den nächsten Morgen.
114
Jetzt
Sonntag, 18. Januar
»Jessie! Ein Anruf für dich.«
Es klang so plausibel, dass sie ihm beinahe geglaubt hätte.
»Jessie! Es ist Benedict! Er will mit mir verhandeln, damit ich dich laufen lasse! Zuerst aber möchte er wissen, ob es dir gut geht. Er will mit dir sprechen!«
Sie verhielt sich still und überlegte. Hatte Benedict angerufen, was nicht unwahrscheinlich war, und dieser Freak hatte sich gemeldet?
Ging es um Lösegeld?
Benedict hatte kein Geld. Worüber sollte er verhandeln? Außerdem war der Typ ein Perverser. Er wollte, dass sie sich mit ihrem Schuh befriedigte. Was hatte das mit Verhandeln zu tun? Es ergab keinen Sinn.
Wenn sie reagierte, würde sie ihren Aufenthaltsort verraten.
Sie lag auf den alten
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