Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Konzentrationsprobleme gehabt. Er habe nicht mehr weitergewusst. Selbst ein Psychologe habe ihm nicht helfen können.
Er lernte einen Studenten kennen, der ihm riet, bestimmte Stellen des Koran zu lesen. Das würde ihm helfen. Es half und baute ihn auf. Später gab ihm der Student Videos über den Salafismus, die er von saudiarabischen Scheichs erhalten hatte. Aber dann wurde sein Freund verhaftet und landete im Gefängnis. Als er wieder freikam, erzählte er erstmals von Al-Qaida. Von den großartigen Dingen, die sie in vielen Ländern unternähmen. Zwei Jahre lang schwärmte er ihm davon vor.
Dann begann der Aufstand in Syrien. Nach zwei Monaten lud ihn sein Freund zu sich nach Hause ein. Zusammen mit anderen Bekannten. Alle waren der Auffassung, man müsse etwas tun, um die Revolution zu unterstützen. Einer schlug vor, fünf Mann sollten in eine Moschee gehen und sich dort verteilen. Nach dem Gebet solle einer nach dem anderen aufstehen und rufen: »Allahu Akbar, nieder mit dem Regime!« Das werde auch die anderen Moscheebesucher ermutigen. Sie hätten das dann auch gemacht. Leider habe er nicht mitkommen können, da er in jenem Monat viel zu tun gehabt habe.
Nach ein paar Wochen habe ihm sein Freund gesagt, jetzt sei die Zeit für den Dschihad, den Krieg gegen das Regime, gekommen. Jeden Tag habe er auf ihn eingeredet mitzumachen. Einige Freunde seien extra aus dem Irak gekommen, um mitzuhelfen. Sie seien Al-Qaida-Kämpfer. So wie er selbst.
Bis dahin habe er nicht gewusst, dass sein Freund Mitglied von Al-Qaida oder Al-Nusra war. Sein Freund habe ihn gebeten, es auch in Zukunft geheim zu halten. Al-Qaida sei in Syrien nicht beliebt. Daher sei es besser, sich vorerst anders zu nennen. Die Videos im Internet seien jedoch Lügen. Al-Qaida massakriere nicht und schlachte keine Menschen.
Mohammed sagt, er habe lange gezögert. Doch dann habe er sich bereit erklärt mitzumachen. Allerdings nur, soweit es sich um Aktionen im Namen und im Dienste Gottes handle. Sein Freund habe ihm das fest versprochen. Er brauche keine Waffe in die Hand zu nehmen. Das, was er tun solle, sei für Gott.
Kurz danach wurde ihm sein irakischer »Emir« vorgestellt. Sein Freund sagte, nach altem Brauch müsse er ihm die Hand geben und Treue schwören. Bis in den Tod. Mohammed dachte lange nach. Dann schwor er seinem Emir die Treue.
Der übertrug ihm die Führung einer Gruppe von zehn Irakern. Sie hatten die Aufgabe, pulverförmigen Sprengstoff mit einem Bindemittel zu mischen und zu fünf Tonnen plastischem Sprengstoff zu kneten. Als sie fertig waren, wurde der Sprengstoff in zwei Fahrzeuge gepackt.
Am 10. Mai 2012 fuhren ein palästinensischer und ein jordanischer Kämpfer mit den Fahrzeugen ins belebte Al-Qazzaz-Viertel von Damaskus. Dort sprengten sie sich in die Luft. Über 50 Menschen starben, mehr als 300 wurden verletzt.
Mohammed spricht mit gesenktem Haupt. Er blickt fast nur auf seine Hände. Kraftlos und deprimiert.
»Warum hast du das getan?«, frage ich. Mohammed antwortet mit kaum vernehmbarer Stimme. Er habe aus mehreren Gründen mitgemacht. Zum einen wegen der Unterdrückung der Menschen in Syrien. Zum anderen, weil das Land von Heiden regiert werde. Dass er Zivilisten getötet habe, mache ihn tieftraurig. Er habe das vorher nicht gewusst.
Noch am Tag des Anschlags sei er festgenommen worden. Seither sitze er allein in einer kleinen Zelle. Er habe viel nachgedacht. Er wisse, dass er Schreckliches getan habe und dafür bestraft werde. Er bereue seine Tat. Er habe das Leben anderer vernichtet. Auch seines.
Frédéric und ich schauen uns schweigend an. Wie ist es möglich, dass sich dieser nachdenkliche junge Mann so manipulieren ließ, dass er zum Massenmörder wurde? Was geht in den Köpfen derer vor, die ihn dazu machten?
Ich sehe, dass Mohammed auf dem Rücken seiner Hand und an den Gelenken Narben hat, die von ausgedrückten Zigaretten stammen könnten. Ich frage ihn, ob er gefoltert worden sei. Er schüttelt den Kopf. Die Narben am Handgelenk stammten von den Handschellen.
Ich frage den General und Mohammed, ob wir Mohammeds Oberkörper sehen könnten. Beide stimmen zu. Der Al-Qaida-Kämpfer zieht Hemd und Unterhemd aus. Nirgendwo sehe ich Narben. Vielleicht, weil er sofort alles zugegeben und mit der Polizei zusammengearbeitet hat. Im syrischen Fernsehen hat er sogar ein öffentliches Geständnis abgelegt. Warum sollte man ihn foltern?
Das Gespräch ist zu Ende. Mohammed wird abgeführt. Den Kopf hält er
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