Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Hause geschickt zu werden, wenn man ihm keine Kampfhandlungen nachweisen kann. Und wenn er weiter glaubwürdig behaupten kann, keine Kontakte zu Al-Qaida zu haben.
Frédéric bietet ihm seine Limonade an. Wie ein Verdurstender trinkt er sie aus. Dann blickt er auf mein Glas. Ich nicke. Auch dieses Glas leert er mit hastigen Zügen.
In der Zwischenzeit hat mehrfach Stefan Rocker angerufen. Er hat den ganzen Nachmittag am Film gearbeitet. Jetzt will er noch Details der Ausstrahlung besprechen. Wir brechen auf.
Vier bis an die Zähne bewaffnete Antiterrorspezialisten begleiten uns durch das düstere Gelände des Luftwaffen-Geheimdienstes. Frédérics mulmiges Gefühl war nicht unbegründet. Drei Monate später verüben Mohammeds Ex-Freunde von Al-Nusra spätabends mehrere Sprengstoffanschläge auf das Gebäude. Zehn Menschen sterben.
Es wird ein langer Abend in Bab Tuma. Wir trinken mehr als ein Bier, um unseren Stress abzubauen. Assad, Al-Qaida und der Krieg, der immer näher rückt. Alles ist bedrückend. Meine Skepsis gegenüber gewaltsamen Revolutionen und Bürgerkriegen ist durch meine Syrienbesuche noch größer geworden. Weil die Ungerechtigkeiten, die sie schaffen, größer sind als die, die sie beseitigen wollen.
Gewaltsame Revolutionen sind genauso ein Elend wie der Krieg. Wie viele Kinder, Frauen und Männer darf man töten, um einen Diktator zu vertreiben? In Libyen waren es zwischen 30000 und 50000, in Syrien sind es über 100000. Jeden Tag kommen neue Opfer dazu. Im Irak waren es angeblich über eine Million. Stets waren die meisten Opfer Zivilisten. Revolutionsromantik ist genauso eine Lüge wie Kriegsromantik. »Scheißrevolutionen, Scheißkriege«, sagt Frédéric.
Drei Tage später, am Sonntag, dem 8. Juli 2012, strahlt die ARD das Assad-Interview im »Weltspiegel« aus. Die weltweiten Reaktionen sind gemischt. Die New York Times findet es »überraschend«, dass ein derartiges Interview nach dem Barbara-Walters-Debakel überhaupt noch möglich war. Sie widmet den Aussagen des syrischen Präsidenten breiten Raum. Die Welt hingegen schreibt, Assad habe mich »vorgeführt«. Das Interview erinnere an Gespräche mancher Publizisten mit Stalin und Hitler. Ich gestehe, dass ich schlucken muss. Ging es nicht auch etwas kleiner?
Für das Interview habe ich mir von der ARD kein Honorar bezahlen lassen. Auch die Reisekosten habe ich selbst getragen. Meine Unabhängigkeit ist mir wichtig.
Skypen mit Rebellen aus Homs
Ein paar Wochen später, im August 2012, ruft Frédéric über Skype Sinan, den Rebellen aus Homs, an. Den Jungen, der uns die Pistole mit dem Silberknauf unter die Nase gehalten hatte. Sinan sitzt, während er aus Homs skypt, lässig auf einer Couch. Er raucht eine Schischa-Pfeife. Neben ihm hockt ein perfekt englisch sprechender zweiter junger Rebell. Er übersetzt.
Ich veröffentliche das leicht gekürzte Gespräch trotz vieler Banalitäten, weil ich auch Assads Ausführungen breiten Raum gegeben habe.
Sinan: Hey, wie geht’s?
Frédéric: Danke, gut. Erinnerst du dich noch an mich?
Sinan: Klar, herzlich willkommen!
Frédéric: Verrückt, deine Stimme zu hören. Kann ich unser Gespräch aufnehmen?
Sinan: Natürlich [hält seine Kalaschnikow hoch und zeigt sie Frédéric] . Siehst du die? Eine russische Waffe. Sie kommt zwar von unseren russischen Gegnern, aber wir benutzen sie trotzdem gerne.
Frédéric: Als ich dich das letzte Mal traf, war deine Waffe noch kleiner.
Sinan: Ich habe viele Waffen. Was treibst du so jetzt?
Frédéric: Ich warte gerade darauf, dass meine Schwester ihr Baby bekommt. Ich muss wahrscheinlich gleich zu ihr ins Krankenhaus.
Sinan: Oh, ein Junge oder ein Mädchen?
Frédéric: Ein Junge.
Sinan: Gut, haha, sehr gut! [Sinan und seine Freunde klatschen und jubeln] Was hast du mit den Videos aus Homs gemacht? Konntest du sie veröffentlichen?
Frédéric: Ich durfte doch gar nicht filmen. Du hast es ja nicht erlaubt.
Sinan: O ja, stimmt. Aber du kannst ja noch mal kommen. Du bist willkommen.
Frédéric: Na ja! Das letzte Mal, als wir uns in Homs trafen, dachte ich, du willst uns erschießen.
Sinan: Stimmt. Ihr habt richtig Glück gehabt, dass ihr lebend aus Homs herausgekommen seid.
Frédéric: Warum hast du uns eigentlich gestoppt?
Sinan: Um mich zu schützen. Ich habe gesehen, dass du eine Kamera hattest. Ich dachte, du kommst von den staatlichen Medien oder vom Geheimdienst. Als ich gemerkt habe, dass ihr Deutsche seid, war alles okay.
Frédéric:
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