Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
in meinem Leben brauche ich ein Mobiltelefon wirklich. Doch Yussuf hat zu viel damit herumgespielt. Julias Handy und meines aber sind in Abdul Latifs Wagen verbrannt. Missmutig stapfen wir weiter durch die Wüste.
Yussuf friert inzwischen noch mehr. Der Wind ist schneidend. Julia gibt Yussuf ihren Schal. Am Straßenrand findet sie eine Plastikplane. Einen Teil der kalten Plane legt sie sich um Hals und Schultern. Dann geht es weiter.
Ich lege Yussuf und Julia die Arme um die Schultern. Fest umschlungen gehen wir durch die Wüste. Wie drei Freunde nach einem Sommerfest. Keiner spricht ein Wort. Alles ist gesagt. Wir werden hier gemeinsam herauskommen oder gemeinsam umkommen. Wahrscheinlich geben wir ein romantisches Bild ab. Aber hier ist nichts mehr romantisch. Hinter uns explodieren Granaten. Vor uns in Adschdabiya werden Raketen in den Himmel geschossen. Leuchtend verglühen sie in der Nacht. Zwei Stunden marschieren wir so schweigend vor uns hin. Jeder stützt und trägt den anderen.
Rettung?
Plötzlich reißt sich Yussuf los. »Ein Auto!«, schreit er. »Ein Auto!« Auf der Straße, die links neben uns auf einer hohen Böschung verläuft, sehen wir auf- und abblendende Scheinwerfer. Sie scheinen die Straße abzusuchen.
Wie eine Gämse stürmt Yussuf die Böschung hoch. »Pass auf friendly fire auf! « , schreie ich. Da stürmt mitten in der Kampfzone nachts ein Schwarzer auf ein Suchfahrzeug zu. Das muss die Insassen des Autos doch misstrauisch machen. Aber Yussuf ist nicht zu halten. Gestikulierend rennt er auf das Auto zu. Das blendet voll auf, umkurvt ihn und fährt weiter.
Nach 50 Metern hält der Wagen an. Dann wendet er und fährt ganz langsam auf Yussuf zu. Direkt vor ihm stoppt er. Ich höre, wie sich der Fahrer und Yussuf erregt anschreien.
Julia und ich müssen eingreifen. Wir versuchen, immer wieder abrutschend, die sandige Böschung hochzukommen. Wir müssen uns zeigen. Als hellhäutige Europäer wirken wir vielleicht weniger gefährlich als Yussuf, den die Fahrer möglicherweise für einen Gaddafi-Söldner halten.
Die Autofenster gehen runter. Wir sehen vier junge Libyer mit Kalaschnikows in den Händen. Julia beginnt ein wirres Gespräch auf Arabisch. Ich mische Englisch bei. Nach einigen hektischen Minuten sind die aufgeregten jungen Männer bereit, uns mitzunehmen.
Dankbar gießen wir im Innern des Wagens eine große Flasche Wasser in uns hinein. Doch ist das wirklich die Rettung? Die vier Jungs stehen unter Drogen. Sie sind völlig zu. »Das ist nicht erstaunlich«, versuche ich Julia zu beruhigen. »Wären sie sonst nachts in der Kampfzone unterwegs?«
Yussuf und ich sitzen hinten im Wagen auf dem Schoß von zwei etwa 20-jährigen Libyern. Julia vorne auf den Knien des 25-jährigen Beifahrers. Der Fahrer hingegen scheint Julia als persönliche Beute zu betrachten. Julia raunt mir mehrfach zu, ich müsse unbedingt verhindern, dass er in der Wüste anhalte. Ihre Lage werde immer bedrohlicher. Fahrer und Beifahrer unterhalten sich offenbar sehr konkret über Julia. Und sie versteht genau, was der Fahrer will.
Ich versuche, mit den beiden Jungs, auf deren Schoß Yussuf und ich sitzen, Freundschaft zu schließen. Ich lege den Arm auf ihre Schultern, klatsche sie ab und signalisiere ihnen, dass ich sie als Freunde und Retter ansehe. Ich brauche Verbündete, wenn es ernst wird. Und ich brauche notfalls die Kalaschnikow meines Nachbarn. Ohne Scheinwerfer rasen wir auf Adschdabiya zu.
In der Ferne taucht endlich der grüne Stadtbogen Adschdabiyas auf. Rebellen stehen auf der Straße und erzwingen eine Vollbremsung. Bewaffnete, übernächtigte Männer leuchten mit ihren Taschenlampen ins Fahrzeuginnere. Unser Fahrer und sein Beifahrer weigern sich auszusteigen. Befragt nach Julia, sagt der Fahrer, sie sei seine Frau. Die Rebellen glauben ihm nicht. Vielleicht hat Yussuf ihnen ein Zeichen gegeben. Sie umstellen das Fahrzeug.
Unser Fahrer steigt zornig aus. Es kommt zu einem Handgemenge. Der Fahrer reißt sich los. Schimpfend setzt er sich wieder ans Steuer und rast los. Doch die Rebellen nehmen die Verfolgung auf. Nach einigen Minuten erreichen sie unseren Wagen und drängen ihn von der Straße. Unser Fahrer stürzt mit seiner Kalaschnikow auf die Rebellen zu. Die entreißen ihm die Waffe. Ihr Anführer, ein besonnener junger Mann, versucht ihn zu beruhigen. Ohne Erfolg.
Ein Halbkreis bildet sich um die beiden. Unser zugedröhnter Fahrer wird immer aggressiver. Und sagt offenbar etwas
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