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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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besonders Unkluges. Denn der junge Rebellenführer bricht die Diskussion ab. Mit beiden Händen hebt er langsam seine Pistole. Dann drückt er ab. Millimeter fliegt die Kugel über den Kopf unseres Fahrers.
    Der ist urplötzlich ganz nüchtern. Schweigend setzt er sich ans Steuer. Begleitet von zwei Pickups der Rebellen, die ihre Maschinengewehre jetzt direkt auf unser Auto richten, fährt er uns ins Hauptquartier der Rebellen.
    Wir sind jetzt wieder dort, wo wir gestern Nachmittag gestartet sind. Es ist 1 Uhr nachts. Vier Stunden gezielter Beschuss und sechs Stunden Flucht durch die Wüste liegen hinter uns. Zehn Stunden am Rande des Lebens. In denen wir das Wichtigste verloren haben, was ein Mensch verlieren kann. Den Freund.
    Dreißig Minuten lang müssen wir dem alten, stoppelbärtigen Stellvertreter des Rebellengenerals Bericht erstatten. Der Raum füllt sich mit Kämpfern. Alle hören gespannt zu. Doch am Ende bittet uns der alte Rebell, alles noch einmal zu erzählen. Er könne leider nicht schreiben und auch nicht richtig Englisch. Sein erst jetzt hinzugekommener Adjutant, der perfekt Englisch spreche, werde das Verhör übernehmen.
    Ich bekomme auf einmal einen Anfall von Schüttelfrost und zittere wie Espenlaub. Ich brauche mehrere Decken und zwei Gläser heißen Tees, bis ich aufhöre, mit den Zähnen zu klappern. Heldenhaft sieht das nicht aus. Der Adjutant sagt kameradschaftlich, nach überstandener Gefahr und Dauerunterkühlung komme das häufig vor. Doch Julia undYussuf schlottern nicht.
    Die Rebellen schaffen alles herbei, was sie an Ess- und Trinkbarem auftreiben können. Der Adjutant des Stellvertreters kramt aus seiner Umhängetasche sogar seine eigene Ration hervor. Gegen 2 Uhr nachts ist die Befragung beendet. Die Bombardierung der sieben Autos war im Rebellenzentrum von Adschdabiya nicht bekannt. Das Beschießen von Autos gehört zum Alltag des Bürgerkriegs.
    Unser Adjutant lädt uns zur Übernachtung im Rebellenzentrum ein. Yussuf findet die Idee großartig. Aber Julia und ich wollen sofort nach Bengasi. Doch wer soll uns um diese Uhrzeit dorthin fahren? Die Rebellen sind total übernächtigt.
    Am müdesten erscheint der junge Adjutant, der inzwischen wie selbstverständlich das Kommando übernommen hat. Als er sieht, dass seine Kameraden zögern, bietet er an, uns zu fahren. Er habe zwar schon eine Weile nicht mehr geschlafen. Aber er werde sicherstellen, dass wir heil nach Bengasi kommen.
    Wenig später sitzen wir in seinem kleinen Auto. Ich will zuerst zur Familie Abdul Latifs fahren. Doch unser Adjutant rät dringend, mit der Überbringung der Todesnachricht bis morgen früh zu warten.
    Dann erzählt er von der Revolution. Vom täglichen Sterben auf beiden Seiten. Ich frage ihn, was geschähe, wenn die NATO nicht interveniere. »Auch dann werden wir gewinnen. Aber es wird länger dauern«, antwortet er. Ob es ohne die NATO zu einem Massaker in Bengasi komme, erkundige ich mich. Das wisse er nicht, meint er nachdenklich. Im Grunde glaube er nicht daran. Wenn es zu einem Massaker komme, habe Gaddafi endgültig verloren. Das wisse dieser genau. Außerdem würden die meisten Menschen bei einem Angriff aus den Außenbezirken fliehen. In der Innenstadt aber nützten Panzer wenig.
    Ich bin für jede Minute dankbar, die er spricht. Es hilft mir, über den vergangenen Tag nicht nachdenken zu müssen.
    Um 4 Uhr morgens nimmt uns am Stadteingang von Bengasi der kommandierende General der Stadt in Empfang. Er hat darauf bestanden, uns persönlich abzuholen. Die Rebellen wollen verhindern, dass jetzt noch etwas passiert.
    Wir verabschieden uns herzlich von unserem todmüden Fahrer. Wenn er in Adschdabiya ankommt, kann er vielleicht noch eine Stunde schlafen. Dann muss er mithelfen, die Verteidigung der Stadt zu organisieren.
    Kurz nach 4 Uhr stehe ich im Ouzu-Hotel vor dem Zimmer meines Freundes Belal El-Mogaddedi und unseres Übersetzers Khaled al-Zayed. Zuerst wecke ich Khaled. Er ist ein tapferer Mann. Er reagiert wie ein Schwergewichtsboxer, der plötzlich einen unerwarteten Schlag wegstecken muss. Er schüttelt sein mächtiges Haupt. Als wollte er sagen: Das kann nicht wahr sein. So hart kann das Schicksal nicht zuschlagen. Mehrmals fragt er, ob Abdul Latif wirklich tot sei. Aber die Todesnachricht lässt sich nicht abschütteln wie ein überraschender Faustschlag. Als Khaled hinter mir Julias verweintes Gesicht sieht, sagt er leise: »Lasst uns zu Belal gehen.«
    Dort muss ich lange an die Tür

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