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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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Chance.
    Nach 20 langen Minuten drehte das Flugzeug nach Brega ab. Was hatte der Aufklärer mit seinen Geräten gesehen? Was hatte er den Schützen am Boden berichtet?
    Bis auf eine Fläche von 40 Meter Durchmesser hatte Gaddafis Artillerie die gesamte Umgebung umgegraben. Nur unsere Düne nicht. Es war, als hielte jemand seine schützende Hand genau über diesen Sandhügel. Um uns herum tanzte der Teufel seinen wilden Tanz immer weiter. Alles zerstampfend, zertrümmernd, was er in seinem Zerstörungsrausch erreichen konnte.
    »Vielleicht hat das Flugzeug uns nicht gesehen«, flüsterte ich Julia und Yussuf zu. Doch meine Sorge, dass jeden Augenblick ein Militärjeep auf dem Kamm unserer Düne auftauchen könnte, wurde immer größer. Dann wäre alles zu Ende. Langsam wurde es dunkel, und der Beschuss ließ weiter nach. Nur noch alle zehn Minuten krachte es. Ein Funke Hoffnung kam auf.
    Als die Dunkelheit herabsinkt, beschließen wir zu fliehen. Es ist zu kalt, um liegen zu bleiben. Um zu hoffen, dass uns morgen früh jemand hier herausholt. Viel wahrscheinlicher ist, dass wir doch noch getroffen werden. Oder ein Jeep auftaucht. Oder dass wir im Morgengrauen von den Truppen Gaddafis überrollt werden, falls sie tatsächlich Adschdabiya angreifen. Wir müssen weg.
    Doch die Vorstellung, jetzt über 40 Kilometer durch die möglicherweise verminte Wüste laufen zu müssen, ist nicht verlockend. Ich erkläre Yussuf, dass er seinen leuchtend weißen Pullover gegen mein schwarzblaues Hemd tauschen müsse. Ich kann seinen dünnen weißen Pullover unter meiner Windjacke verbergen. Auch seine weißen Turnschuhe mit Leuchtstrahlern sind zu auffällig. Julia hat die erlösende Idee. Yussuf stülpt meine dunklen Socken über seine Schuhe.
    Wir beschließen, mit weitem seitlichen Abstand zu laufen, um kein einheitliches Ziel zu bieten. Dann umarmen wir uns und verabschieden uns. Ich wünsche beiden Glück und sage: »Wir schaffen es.«
    Der Marsch durch die Wüste
    Laufen ist ein dehnbares Wort. Yussuf rennt, Julia trabt, und ich gehe. Nach ein paar Minuten ist Yussuf schon 100 Meter und Julia 50 Meter vor mir. Nur noch schemenhaft kann ich Yussuf in der Ferne erkennen. Dunkel gekleidet ist er schon aus der Nähe fast unsichtbar. Ich brülle: »Stopp, Yussuf! Zusammenbleiben!« Mir ist klar, dass er sich jetzt am liebsten davonmachen möchte. Sein Instinkt muss ihm sagen, dass das seine Überlebenschancen erhöhen würde. Die Wüste ist seine Welt. Hier ist er als Einheimischer uns allen überlegen. Zögernd bleibt Yussuf stehen.
    Ich erkläre ihm, dass wir nach allem, was wir erlebt hätten, jetzt zusammenhalten müssten. Doch ich spüre, dass ihn das nicht überzeugt. Also füge ich hinzu, dass die Rebellen von Adschdabiya ihn ohne Julia und mich wegen seiner Hautfarbe für einen Gaddafi-Söldner halten würden. Auch das stimmt ihn nicht um. Da hakt sich Julia kameradschaftlich bei ihm ein. Das gibt den Ausschlag. Er bleibt erst einmal bei uns und stellt sein Sprinttempo auf zügiges Gehen um.
    In der Ferne sehen wir ein schwaches Leuchten. Das könnte Adschdabiya sein. Bei unserem ständigen Zickzackkurs, den die Dünen erzwingen, könnten wir vielleicht in zehn Stunden dort sein. Kann man so lange laufen, ohne Wasser, ohne Essen, ohne Pause? Weit hinter uns schlägt mit dumpfer Wucht wieder eine Granate ein. Wir drehen uns um und sehen, dass große Teile von Brega lichterloh brennen. Es ist, als blickten wir in den lodernden Schlund der Hölle. Julia traut sich nicht mehr zurückzuschauen.
    Yussuf beginnt angesichts des gespenstischen Flammenmeeres hinter uns wieder zu sprinten, Julia auch. Ich brülle, bis ich alle wieder zusammenhabe. Erneut schlägt krachend eine Granate ein. Diesmal weit rechts von uns. Julia und Yussuf blicken immer wieder zum Himmel. Ist da nicht doch ein Flugzeug mit Nachtsichtgeräten? Auch ich schaue immer wieder hoch.
    Nach meinem Sahara-Ritt 2008 hatte ich mir fest vorgenommen, in diesem Leben noch einmal in die Wüste zurückzukehren. Wieder mit einem Reitkamel. Zwar wollte ich nie mehr so frieren wie damals. Aber ich wollte erneut das grandiose Bild des nächtlichen Wüstenhimmels betrachten, den ich damals wie ein Kind bewundert hatte. Die Milchstraße, die wie eine Dunstwolke über der Wüste schwebte. Die endlose Zahl flimmernder, funkelnder, wie Diamanten strahlender Sterne.
    Zwar blinken auch jetzt Tausende Sterne über uns. Doch dazwischen leuchten immer wieder rote Punkte auf, die schnell

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