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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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Maschinenpistolen waren auf die Straße gerichtet. Auch im Zentrum bestimmten Panzer das Straßenbild. Aber hier waren es Kampfpanzer. Auch unser Hotel war von ihnen umstellt.
    Als wir am nächsten Morgen zum Tahrir-Platz, dem »Platz der Befreiung«, wollen, rät uns der Rezeptionschef dringend ab. Die Polizei mache Jagd auf Journalisten, meint er. Aber das sei vor einer Woche gewesen, erwidere ich. Mubarak habe die Polizei doch aus der Innenstadt abgezogen. Jetzt sorge das Militär für Ordnung. Das sei viel zurückhaltender als die Polizei. Doch der Ägypter bleibt skeptisch. Die Lage könne sich innerhalb von Minuten ändern. Wie bei der »Kamelschlacht« in der Vorwoche. Die Regierung habe heute Morgen alle Spezialeinheiten in Alarmbereitschaft versetzt.
    Wir brechen trotzdem zum Tahrir-Platz auf. Die Luft in Kairo ist frisch und sauber, weil sich kaum ein Autofahrer auf die Straße traut. Überall sehen wir ausgebrannte Fahrzeuge. Vor allem neben der zerstörten Zentrale der Nationaldemokratischen Partei. Aus den zersplitterten Fenstern dieses einstigen Zentrums der Macht dringen noch immer Rauchschwaden. Ganz in der Nähe sehen wir ein großes Transparent in den Nationalfarben Ägyptens. In seiner Mitte sind die Symbole der beiden ägyptischen Religionen abgebildet: der muslimische Halbmond und das christliche Kreuz. Darunter steht: »Wir gehören zusammen. Wir alle sind Ägypter«.
    Je näher wir dem Tahrir-Platz kommen, desto dichter werden die Massen. Kein unfreundliches, chaotisches Schieben und Stoßen, sondern heiteres, ausgelassenes, erwartungsfrohes Schlendern. Wie bei einem großen Volksfest oder vor einem entscheidenden Fußballspiel.
    Der Platz ist weiträumig abgesperrt. Freiwillige Revolutionshelfer überprüfen jeden. Die jungen Kontrolleure sind teils verwegen vermummt, teils in den Nationalfarben ihres Landes bemalt. »Oh, Germany!«, freuen sie sich, als sie unsere Pässe sehen. »Nahnu nuhibb Almania – wir lieben Deutschland.« Ein Ruf, der uns fast überall in der arabischen Welt empfängt.
    An den Zugängen zum Platz sind Dutzende Panzer aufgefahren. Bewaffnete Soldaten mit Helmen und Tarnanzügen marschieren auf. Die Armee will auf alles vorbereitet sein. Es ist erst 11 Uhr, und doch sind schon Hunderttausende auf dem Platz. Immer lauter schallt der Ruf »Irhal Mubarak! – Mubarak, verschwinde!«
    Der Platz ist eingerahmt von provisorischen Bühnen, auf denen unablässig politische und kabarettistische Sprechgesänge angestimmt werden. Meist auf Arabisch, manchmal auch auf Englisch. In der Mitte stehen kleine Zelte. Vieles erinnert an ein Volksfest, manches an ein Treffen der Vereinigung ägyptischer Marktschreier.
    Wenn da nicht die vielen Panzer wären. Und die weißen Zelte des Roten Halbmondes, wo in Notfällen Verwundete behandelt werden können. Sowie dieser hohe Haufen von Pflastersteinen, den sich die Revolutionäre für den Fall der Fälle zurechtgelegt haben. An den Außenwänden der Bühnen sind Hunderte Fotos getöteter Demonstranten, von Panzern zerquetschter Jugendlicher angebracht. Sie erzählen von den bitteren, einseitigen Kämpfen, die bis vor Kurzem auf diesem Platz stattgefunden haben.
    Plötzlich grüßt mich laut ein hochgewachsener Ägypter auf Deutsch: »Guten Tag, Herr Todenhöfer! Danke, dass Sie an unserer Revolution teilnehmen.« Ich fasse mir an den Kopf. In München kann ich stundenlang durch die Stadt gehen, ohne dass mich jemand erkennt. Hier im fernen Kairo aber spricht mich ein Revolutionär mit Namen an. Er erzählt mir, dass er mich einige Tage zuvor über Satellit in einer Fernsehsendung Maybrit Illners gesehen habe. Was für eine kleine Welt! Oder kennen die Ägypter uns einfach besser als wir sie?
    Auf einmal geht ein Raunen über den Platz, gefolgt von triumphierenden Sprechchören. Die Regierung hat soeben für den Abend eine Rede des Präsidenten angekündigt. Alle erwarten, dass er zurücktreten werde. Der Platz explodiert schier vor Freude. Ist Ägypten ab heute Abend ein freies Land? Wildfremde Menschen umarmen uns. Sie tanzen in Vorfreude. »Wir haben es geschafft. Heute Abend die Freiheit.« Aber ganz sicher sind sie nicht. Mubarak ist ein Fuchs. Die Spannung steigt.
    Die Soldaten stehen mit ihren Maschinenpistolen auf den sandfarbenen Panzern. Sie versuchen, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen. Aber wahrscheinlich würden sie am liebsten heruntersteigen und sich mit ihren Landsleuten verbrüdern. Doch was ist, wenn sie den Befehl bekommen,

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