Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Gespräch mit Mutassim Gaddafi: »Das hätten wir vor zehn Jahren nie geträumt, hier in Tripolis zu sitzen und von einem Sohn Gaddafis begrüßt zu werden.« McCain war von dem neuen Antiterror-Partner so begeistert, dass er Mutassim Gaddafi versprach, sich im Kongress dafür stark zu machen, dass Libyen »die Waffen erhält, die es für seine Sicherheit braucht«.
Zu keinem Zeitpunkt forderte die Bush- oder die Obama-Administration von Gaddafi die Einhaltung der Menschenrechte oder die Einführung der Demokratie. Hillary Clinton war über Mutassim Gaddafis Besuch in Washington einfach nur glücklich. Strahlend wie ein verliebter Teenager freute sie sich auf die »Vertiefung und Verbesserung der Beziehungen beider Länder«.
So verhielt sich der Westen gegenüber allen Diktaturen der arabischen Welt – falls sie mit ihm zusammenarbeiteten. Gleichzeitig benutzte er ihre Gefängnisse als Folterfilialen. Terrorverdächtige wurden heimlich nach Nordafrika geflogen, weil die dortigen Diktatoren besser folterten. Eigentlich müssten alle westlichen Politiker und Beamten, die an diesen schändlichen Folterflügen beteiligt waren, längst vor Gericht stehen. Foltern lassen ist genauso strafbar wie selber foltern.
Bis zuletzt waren die Kerker Muammar Gaddafis eine beliebte Folterzentrale. Für seinen Folterservice wurden ihm selbst außergewöhnliche Wünsche erfüllt. Sarkozy versorgte ihn mit dem Traumauto aller Mafiabosse, einem gepanzerten Tarnkappen-Mercedes. Tony Blair und George W. Bush lieferten ihm libysche Regimegegner frei Haus. Deutschland versorgte ihn mit modernsten Waffen. Berlusconi küsste ihn, Prodi nannte ihn »seinen Bruder«. Obama verneigte sich vor ihm.
An all das hatten sich die Menschen der arabischen Welt beinahe gewöhnt. Doch ganz plötzlich führte der sprichwörtliche Flügelschlag eines Schmetterlings – hier der Selbstmord eines tunesischen Gemüsehändlers – zu einem vulkanartigen Ausbruch, brach sich jahrhundertealte Bitterkeit Bahn. Die Hoffnung war auf einmal größer als die Angst. Wie durch ein Wunder entstand in der Gemeinschaft von ein paar hundert, tausend oder zehntausend Machtlosen eine rauschartige revolutionäre Stimmung, ein nie gekanntes, mit dem Verstand nicht erklärbares Gefühl unwiderstehlicher kollektiver Macht. Wie einst in der Französischen Revolution.
Als am 17. Januar 2011 die Revolution in Tunesien den dortigen Diktator Ben Ali vertrieb, dachte ich noch, es könne sich um ein vereinzeltes Ereignis handeln. Aber dann erfasste der demokratische Virus auch Ägypten. Die euphorische Siegesstimmung verbreitete sich wie ein Feuersturm von Stadt zu Stadt, von Land zu Land. Wie ein Tsunami überrollten die bisher Ohnmächtigen, Gedemütigten, Unbeachteten ihre Machthaber. Sie wunderten sich selbst über ihren Mut und ihre Stärke. Hunderttausende riefen mit einer Stimme: »Al schaab jurid iskaat al nisaam – Das Volk will den Sturz des Systems.«
Obwohl ich sonst fast nie fernsehe, saß ich jeden Abend staunend vor meinem Gerät. Das war Gandhi, das war Gandhis Revolution! Machtvoll und gewaltfrei!
Schicksalstage in Kairo
Ich beschloss, nach Kairo zu fliegen. Eigentlich war es fast zu spät. Denn Präsident Mubarak ließ inzwischen erbarmungslos in die Menge schießen. Er bot marschierende sowie auf Pferden und Kamelen reitende Schlägertrupps auf und ließ Jagd auf Journalisten machen. Jeden Tag gab es Tote. Den meisten Journalisten blieb nichts anderes übrig, als das Land zu verlassen oder sich in ihren Wohnungen zu verbarrikadieren. Ich beschloss, trotzdem zu fliegen, zusammen mit Julia und meinem Freund Belal El-Mogaddedi.
Am 9. Februar 2011 starteten wir. Als sich unser Flugzeug Kairo näherte, setzten sich fast alle ägyptischen Passagiere in der halb leeren Maschine auf die linke Seite. Staunend blickten sie auf diese Stadt, über die seit Tagen die Welt sprach. Ihr Kairo hatte sich aus dem Staub erhoben, hatte den Aufstand gewagt? Als sie einige Wochen zuvor die Stadt verlassen hatten, war doch alles noch ganz ruhig gewesen. Der Pilot bat die Passagiere dringend, sich wieder auf ihre Plätze zu begeben. Es ist schwierig, ein Flugzeug zu steuern, in dem sich alle Insassen gegen die Fenster auf der linken Seite lehnen.
Der Flughafen war fast menschenleer, die sonst so verstopften Straßen autofrei. Auf der Schnellstraße nach Kairo fuhren wir an einer schier endlosen Reihe von Schützenpanzern vorbei. In ihren Luken standen Soldaten. Ihre
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