Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Ziel. Ausgelassene Freude macht sich breit.
Frédéric und ich schauen vergnügt zu. Immer häufiger versucht das Mädchen, das gerade den Ball hat, diesen Frédéric oder mir zuzuwerfen. Vielleicht sind wir in diesem Spiel nur die Torwand oder der Basketballkorb. Aber vielleicht ersetzen wir auch für ein paar Minuten ihre toten Brüder und Väter.
Nach dem Spiel gibt es im Gemeinschaftsraum Tee, Sandkuchen und Rosinen. Dann tragen die Kinder Verse aus dem Koran vor. Sie beten für Frieden in ihrem Land. Ein Junge und ein Mädchen sagen ein Gedicht über ihre Heimat auf. Nach jedem Vers rufen die Kinder: »Unsere wunderschöne Heimat, unser Afghanistan.«
Ich weiß, dass ich jetzt etwas sagen muss. Ich stelle mich in den großen Türrahmen zwischen dem Mädchen- und dem Bubenraum. Als Erstes gratuliere ich der siegreichen Fußballmannschaft zu ihrem großen Erfolg. Dabei nehme ich mich kräftig auf den Arm. Es gibt tosenden Beifall. Ich wusste gar nicht, dass Kinder so kräftig klatschen können.
Dann spreche ich kurz über den Angriff auf Kunduz. Die Kinder zucken zusammen. Ich erzähle, dass viele Menschen in Deutschland darüber traurig seien. Im Namen dieser Menschen entschuldige ich mich. Wieder tosender Beifall.
Dann sage ich ihnen, was ich von ihnen erwarte: Fleiß und Freundlichkeit gegenüber ihren Mitmenschen. Ich bitte sie mitzuhelfen, eine schönere Welt aufzubauen. Mit viel Fußball und wenig Krieg. Donnernder Beifall. Die Augen der Kinder leuchten. Sie wissen jetzt, dass sie Freunde in Deutschland haben. Julia, Frédéric, Belal, Alexander, Thomas und mich. Und wir haben dreißig kleine Freunde in Afghanistan.
Draußen versinkt die Abendsonne hinter den Bergkuppen. Die kleine Bibi Hawa und der noch kleinere Haroun übergeben mir als Zeichen der Versöhnung stolz einen Käfig mit zwei schneeweißen Tauben. Wir gehen nach draußen, um den Friedenstauben die Freiheit zu schenken. Die Kinder werfen sie mit Schwung in die Luft. Fröhlich flattern sie über die Köpfe der Kinder – und landen gemütlich wieder ganz in ihrer Nähe. Durch nichts sind sie zu bewegen, diesen Hort des Friedens zu verlassen.
Ich nehme dem Leiter des Heims das Ehrenwort ab, dass die Tauben ab sofort unter seinem persönlichen Schutz stehen. Damit niemand auf dumme Gedanken kommt und behauptet, sie seien in Wirklichkeit schmackhafte Hühner.
Als wir in unsere Fahrzeuge steigen wollen, höre ich aus dem Jungen- und dem Mädchenhaus laute Kinderstimmen. Hinter einem Fenster steht dicht gedrängt die Rasselbande der 17 afghanischen Lausbuben. Sie brüllen sich die Seele aus dem Leib. »Thank you, good bye«, rufen sie in Sprechchören, so laut sie können. Auch die Mädchen haben sich hinter ihre Fenster gestellt und winken uns fröhlich zu: »Thank you, thank you!«.
Wir winken zurück.
Da es dunkel ist, schadet es nichts, dass uns ein paar Tränen über das Gesicht kullern. Auch diesen Augenblick werde ich nie vergessen. »Danke«, haben die Kinder gerufen, deren Familien wir zerstört haben.
Als ich »Dar-ul-Omeid« im Juni 2013 erneut besuche, überfliegen zwei weiße Tauben das Heim. »Sie kommen jeden Tag zum Fressen her«, sagt der kleine Haroun stolz. »Ich glaube, sie mögen uns.« Dankbar haue ich dem neben mir stehenden Küchenchef auf die Schulter.
21 Siehe Der Fall Florian Pfaff – Wie die Bundeswehr mit internen Kritikern umgeht. Ein Beitrag von Jerry Sommer in der NDR-Sendereihe »Streitkräfte und Strategien«, 9. April 2011; www.ndrinfo.de
»Anderen Offizieren der Bundeswehr, wie z.B. Major Florian Pfaff, der seine Mitwirkung am Irakkrieg verweigerte, erging es erheblich schlechter. Für ihn gab es eine Beförderungssperre.
Im März 2003 ist der Irak von den USA angegriffen worden. Damals weigerte sich der im Streitkräfteamt der Bundeswehr beschäftigte Major Florian Pfaff aus Gewissensgründen, seine Arbeit an der Neuorganisation der Bundeswehrlogistik fortzusetzen. Die Begründung: Seine Vorgesetzten könnten nicht ausschließen, dass seine Arbeitsergebnisse auch für eine Unterstützung des Irakkrieges eingesetzt würden. Da nach Pfaffs Einschätzung der Irakkrieg ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg war, hätten ihm sowohl das Grundgesetz als auch sein Gewissen jede Beteiligung an diesem Feldzug verboten. Deutschland hatte sich damals unter der rot-grünen Regierung nicht direkt am Irakkrieg beteiligt. Aber indirekte Unterstützung für die USA wurde geleistet. Daran wollte der Bundeswehr-Major
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