Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
»objektiver Beobachter«. Aber es ändert nichts mehr an dem Zerrbild, das die westliche Öffentlichkeit mittlerweile von der syrischen Tragödie hat.
In ihrer medialen Wirkung noch bedeutsamer waren die arabischen Fernsehsender Al-Dschasira und Al-Arabiya. Kampagnenartig, reißerisch, spektakulär betrieben sie nach den Revolutionen in Tunesien, Ägypten und Libyen den »demokratischen Umsturz« in Syrien. Inzwischen haben sie an Glaubwürdigkeit verloren. Zu viele Berichte erwiesen sich nachträglich als falsch. Zu viele seriöse Journalisten haben die Sender unter Protest verlassen.
Beide TV -Stationen stammen aus autoritären, antidemokratischen Staaten, aus Katar und Saudi-Arabien. Schon das müsste jeden nachdenklich stimmen. Saudi-Arabien und Katar gehören darüber hinaus zu den engsten militärischen Verbündeten der USA im Mittleren Osten. In Katar befindet sich das Zentralkommando der amerikanischen Streitkräfte für den Mittleren Osten, Ostafrika und Vorderasien.
Könnte es sein, dass es den Eigentümern dieser Sender um etwas ganz anderes geht als um die Einführung der Demokratie in Syrien? Um geostrategische Fragen, um dieVorherrschaft im Mittleren Osten?
Audiatur et altera pars
Ein zentrales Problem der westlichen Syrien-Berichterstattung besteht darin, dass meist nur die Aufständischen und ihnen nahestehende Personen befragt und zitiert werden. Das muss zu einer Verzerrung der Wahrheit führen.
Ende August 2012 habe ich eine Woche lang systematisch die Syrien-Berichterstattung der wichtigsten deutschen Zeitungen ausgewertet. Das Ergebnis war erschreckend. In manchen Medien stammten 71 Prozent der Meldungen von der Opposition. In einem besonders pominenten Blatt waren es sogar 81 Prozent. Ich bin leidenschaftlicher Zeitungsleser. Zeitungen sind ein Teil unserer Kultur. Ein Tag ohne meine Zeitung ist für mich ein verlorener Tag. Die deutschen Zeitungen gehören zu den besten der Welt. Nach wie vor.
Doch welches Bild ergäbe sich, wenn unsere Medien bei Streitfragen im Bundestag nur die Opposition befragen würden? Wenn ein Richter in einem Rechtsstreit nur eine der Parteien anhören würde? Wenn eine Mutter nach einer Balgerei zweier Kinder nur eines fragen würde, wer angefangen hat? Wer nur die eine Seite zu Wort kommen lässt, erfährt selten die Wahrheit.
»Audiatur et altera pars – Höre dir immer auch die andere Seite an«, war schon im römischen Recht eine der wichtigsten Maximen. Selbst das Mittelalter kannte den Rechtsgrundsatz: » Enes Mannes Rede ist nur die halbe Rede. Darum soll man hören bede .«
Glücklicherweise halten sich wenigstens einige Medien an diese goldene Regel. Auch gibt es immer wieder Journalisten, die unter großen Gefahren vor Ort selbst recherchieren. Oft ein ganzes Leben lang. Und die das, was sie gehört und gesehen haben, zur Kontrolle auch mit der anderen Seite besprechen. Doch die tägliche Einseitigkeit der Mehrheit der Medien in manchen weltpolitischen Fragen können sie allein nicht korrigieren.
Wie tiefgreifend die Folgen dieser parteiischen Berichterstattung sind, sehe ich bei mir selbst. Wenn ich über längere Zeit nur die von den Rebellen verbreiteten Berichte über die Untaten der Regierung lese, erfassen auch mich Zorn und Entsetzen. Ich kann mich dem gar nicht entziehen. Nach der zehnten Meldung auf Spiegel -, Bild - oder Süddeutsche Zeitung online über die Gräueltaten der syrischen Regierung gerät mein gesamtes, mühsam recherchiertes Syrienbild ins Wanken.
Hat man mich vielleicht doch hinters Licht geführt? Irre ich mich, wenn ich sage und schreibe, dass sich beide Seiten völlig verrannt haben, dass beide Seiten erbarmungslos Gewalt anwenden? Erleben wir doch den edlen Aufstand eines ganzen Volkes gegen seinen blutrünstigen Diktator? Und nicht den von mir geschilderten grauenvollen Bürgerkrieg zwischen zwei etwa gleich starken Lagern?
Jeden Tag zweifle ich an mir. Von den Nächten ganz zu schweigen. Wenn das, was Osama Ali Suleiman, was die »Freie Syrische Armee« und was Al-Dschasira täglich berichten, stimmt, muss auch ich sagen: »Stürzt diesen Tyrannen!« Ich verstehe jeden westlichen Fernsehzuschauer, der nach den Abendnachrichten im Fernsehen und der Lektüre seiner Tageszeitung fragt: Wann stoppt der Westen endlich das mörderische Blutvergießen Baschar Al-Assads?
Die Zivilcourage eines jungen Journalisten
An einem dieser Tage des Zweifels rief mich der junge Fernsehjournalist Marcel Mettelsiefen an. Ich kannte
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