Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
weiß, dass meine Position unpopulär ist. Aber war das vor dem Afghanistankrieg und vor dem Irakkrieg anders? Oder in den 80er-Jahren in der Frage der Wiedervereinigung? Wie sang noch mal Mahatma Gandhi, wenn ihn niemand mehr verstand? »Wenn sie deinem Ruf nicht folgen, geh allein, geh allein.«
E-Mails an Scheherazad
Ich hatte nur zwei Möglichkeiten mitzuhelfen, eine friedliche Lösung des Syrienkonflikts zu finden. Ich konnte Artikel schreiben, und ich konnte versuchen, auf Assad Einfluss zu nehmen. Es gab nur eine Person, über die ich mit Assad kommunizieren konnte – Scheherazad. Doch die war gerade einmal 21 Jahre alt.
Aber gab es eine Alternative? Als ich vor dem Afghanistankrieg Kontakt zu Talibanchef Mullah Omar aufnehmen wollte, hatte ich den hochbetagten Ex-Präsidenten Afghanistans, Sibghatullah Al-Modschaddedi, um Vermittlung gebeten. Bei meinem naiven Versuch mitzuhelfen, den Irakkrieg zu vermeiden, hatte mir der frühere Koordinator des Hilfsprogramms »Öl für Nahrungsmittel« im Irak, der damals auch schon über 60-jährige Hans Graf von Sponeck, brillant geholfen. Das Alter meiner Vermittler hat mich nie interessiert. Und ob sie männlich oder weiblich waren, auch nicht.
Was sprach also dagegen, es diesmal mit einem 21-jährigen Mädchen zu versuchen? Wenn Scheherazad so alt gewesen wäre wie ich, hätte ich sie doch auch eingeschaltet.
Ihr Kontakt zu Assad war offenbar so gut, dass selbst der syrische Botschafter in Berlin mir riet, bestimmte Ideen nicht über ihn, sondern über Scheherazad an Assad heranzutragen. Sie habe täglichen Zugang zu ihm und erheblich mehr Einfluss als er. Sollte ich auf diese Möglichkeit verzichten, nur weil sie jung und hübsch war?
Irgendwann fand selbst mein Sohn Frédéric die Idee nicht mehr ganz abwegig. Vor allem, nachdem ich ihn gebeten hatte, mir gelegentlich bei der Formulierung der Mails an Scheherazad zu helfen. Auch Julia war nicht mehr völlig ablehnend. Nur warnte sie zu Recht: »Die Mails werden veröffentlicht werden, man wird dich massiv angreifen.« Aber das wusste ich. Außerdem wurde ich auch so kritisiert. Weil ich das Spiel der »Achse der Guten« nicht mitspielte.
Die Gefahr, dass jemand alle Mails mitlas und sie eines Tages veröffentlichte, war in der Tat groß. Aber sie war unwichtig. Da musste ich dann durch. Das einzige Problem war, dass Scheherazad im Stil eines jungen Twitter-Mädchens schrieb. Lustig, etwas durchgeknallt und immer ein wenig flirtend. Nicht nur mir, sondern auch jedem anderen. Ihre Mails begannen meist mit »Ich vermisse Sie« und bis zu zwanzig Ausrufezeichen.
So schrieb sie auch an Assad, an dessen Frau und an andere Menschen, die sie mochte. Auch an Medienvertreter, die sie schätzte. Denen mailte sie auch schon mal ein »I love you«. Das war ihre Art, gute Laune zu verbreiten. Mir war das sympathischer, als wenn Menschen Briefe an ihre schlimmsten Feinde »mit vorzüglicher Hochachtung« unterschreiben. Oder Unwahrheiten mit »Sincerely«, was so viel heißt wie »ehrlich« und »aufrichtig«.
Scheherazads fröhlicher Twitter-Stil war wahrscheinlich auch der Versuch eines blutjungen Mädchens, das in New York ein unbeschwertes Leben leben konnte, inmitten der Gräuel dieses Krieges nicht wahnsinnig zu werden. Welches andere junge Mädchen hätte diesen Mut?
Ich mailte und »flirtete« also mit. So wie ich selbstverständlich mit den Vorzimmerdamen Obamas, Putins oder Xi Jinpings »flirten« würde, wenn sie mir in wichtigen politischen Fragen Zugang zu ihren abgeschirmten Chefs verschaffen könnten. Einer meiner zahlreichen taktischen Fehler während meiner Abgeordnetenzeit war, dass ich Esel nie mit Helmut Kohls fröhlicher Assistentin Juliane Weber »geflirtet« hatte. Andere, Klügere brachten ihr meist als Geschenk kleine Elefantenfiguren mit. Auch wenn sie Kohl-Gegner waren. Ihr ganzer Schreibtisch war voll davon.
Es gab zwei Dinge, die ich nur über Scheherazad erreichen konnte:
1.Ich wollte bei Assad für eine zügigere Demokratisierung Syriens werben sowie für einen Dialog mit allen seinen Gegnern. Auch mit den Rebellen. Ich wollte mithelfen, das Blutvergießen in Syrien zu beenden.
2.Ich hielt das TV -Interview mit dem syrischen Präsidenten zunehmend für wichtig. Weil der Westen seine Feinde kennen sollte, bevor er Entscheidungen über Krieg und Frieden trifft.
Zwei Monate lang gingen die Mails hin und her. Manche hatte Frédéric mitformuliert. Ich lud Scheherazad sogar im Namen meiner
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