Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Familie in unsere Berghütte nach Sulden in Südtirol ein, um dort alle Anliegen zu besprechen.
Irgendwann im Frühjahr 2012 wurden erwartungsgemäß Scheherazads E-Mails an Assad geknackt. Genüsslich zitierten westliche und arabische Medien aus der Fülle ihrer Mails auch eine mich betreffende Nachricht vom 29. November 2011 an den syrischen Präsidenten:
»Dear,
Dr. Tudenhufer (sic!), der deutsche Denker, hat nach seiner Rückkehr nach Deutschland einen kleinen Dokumentarfilm über Syrien produziert. Er beschrieb darin beide Seiten (die positive und die negative). Ich erhielt viele E-Mails von Exil-Syrern, die mir schrieben, wie glücklich sie seien, dass der Film in Deutschland so viele positive Kommentare erhielt. Es war das erste Mal seit Beginn der Krise, dass Syrien fair dargestellt wurde. Dr. Tudenhufer gab nach seiner Rückkehr auch mehrere Fernsehinterviews. Er sprach extrem positiv über Sie als Person und über Syrien als Land.
Das einzige Problem ist, dass er 30 Sekunden Ihres vertraulichen Gesprächs mit ihm in den Dokumentarfilm aufnahm. Allerdings waren diese 30 Sekunden übersprochen, so dass man nicht hören konnte, was Sie sagten. Ich teilte ihm meine Bedenken hierzu mit und sagte ihm, dass er dazu nicht berechtigt gewesen sei. Er entschuldigte sich und sagte, das Ganze sei ein Missverständnis. Er habe Sie gefragt, ob Bilder gemacht werden dürften, und Sie hätten Ja gesagt. Lassen Sie mich wissen, was Sie darüber denken.
Vielen Dank! Ich vermisse Sie so sehr «
Schon diese Mail reichte einigen Zeitgenossen, um mir mitzuteilen, dass ich »enttarnt« sei. Auch manche Zeitungen sahen das so. Dabei kannten sie nur Bruchteile des E-Mail-Verkehrs.
Vielleicht interessiert diese Kritiker neben der Form auch der Inhalt der Mails, die ich Scheherazad schrieb – stets in der Hoffnung, dass sie Assad darüber informieren würde. Im Grunde schrieb ich immer an Assad. Scheherazad war mein Bote.
Am 16. Dezember 2011 schrieb ich unter anderem:
»Sie haben eine große Aufgabe. Wenn Ihr Präsident Ihr Land in eine echte Demokratie führt, kann er eine ›historische‹ Gestalt werden. Machen Sie ihn zu einem Sieger und nicht zu einem Verlierer wie Mubarak und Co.!«
Am 21. Dezember 2011:
»Laden Sie weiter gute Journalisten ein! Selbst wenn sie kritisch sind. Gestern las ich einige sehr kluge Erklärungen Ihres Außenministers. Er sprach von der Zukunft Syriens als ›Musterdemokratie‹. Sehr gut!«
Am 22. Dezember 2011:
»Hier einige Ideen eines Freundes:
1.Warum ernennt der Präsident nicht offiziell einen seriösen westlichen Politiker wie Genscher, Carter oder Kofi Annan als Berater für den demokratischen Übergang?
2.Warum erlässt der Präsident nicht einen schriftlichen Befehl an seine Sicherheitskräfte, nicht auf Zivilisten zu schießen und sie stattdessen zu schützen?«
Am 23. Januar 2012 (sieben Wochen vor Kofi Annans »Sechs-Punkte-Plan«):
»Angesichts der dramatischen Lage sollte Ihr Präsident so bald wie möglich einen Friedensplan vorlegen. Hier sind sechs Punkte, die er enthalten sollte:
» Assads Sechs-Punkte-Friedensplan« (sic):
1.Sofortiger Waffenstillstand,
2.Dialog mit der Opposition in Damaskus, Genf oder Moskau,
3.Einbeziehung der Opposition in die Gestaltung einer neuen demokratischen Verfassung,
4.Volksabstimmung über die neue Verfassung – Beobachter: Jimmy-Carter-Stiftung,
5.Parlamentswahlen,
6.Präsidentschaftswahlen.«
Diesen Vorschlag eines Sechs-Punkte-Friedensplans Assads machte ich, sieben Wochen bevor Kofi Annan seinen Sechs-Punkte-Planvorlegte, der nur in Details abwich. Könnte es sein, dass manche der Ideen, die ich Scheherazad vorschlug, tatsächlich dorthin gelangten, wohin sie sollten?
Ich würde heute alles wieder so machen. Als Scheherazad mich einmal einlud, mit ihr einen Abend durch die Diskos von Damaskus zu ziehen, lehnte ich schmunzelnd ab. Julia war stolz auf mich. Man darf seinen Gegnern nicht zu viele Angriffspunkte bieten. In einer Disko lässt sich schwer über Demokratisierung diskutieren. Zumindest hätte mir das niemand geglaubt.
Im Grunde ist es schade, dass Scheherazad schon lange nicht mehr an Assads Seite ist. Sie lebt seit dem Frühjahr 2012 wieder in New York. Ich hatte noch so viele Ideen, wie man diesen schrecklichen Konflikt vielleicht beenden könnte. Ist es nicht besser, mit E-Mail-Flirts für Demokratie zu werben als mit Bomben und Raketen?
Die Schreibtischstrategen schlagen zurück
Erwartungsgemäß
Weitere Kostenlose Bücher