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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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»Sicherheitskräften« oder von »Freiheitskämpfern« zu Krüppeln zusammengeschossen werden? Wenn Menschen vor Schmerz den Verstand verlieren?
    Der Patriarch
    Wir besuchten das Oberhaupt der melkitischen griechisch-katholischen Kirche, Gregorios III . Als Patriarch ist er zuständig für »Antiochien und den ganzen Orient, für Alexandrien und für Jerusalem«. Er spricht perfekt deutsch.
    Er sei weder für noch gegen Assad, sagte er. Aber Syrien sei unter Baschar Al-Assad zum tolerantesten und insoweit auch demokratischsten Land des Mittleren Ostens geworden. Wer Baschar mit seinem Vater Hafiz verwechsle, zeige nur, dass er nichts von Syrien wisse. Er habe bei seiner Europareise vor einigen Monaten festgestellt, dass fast alle hochrangigen Gesprächspartner den gleichen Unsinn über Syrien erzählten. Als hätten sie eine »Schablone« im Kopf. Sie plapperten nach, was andere ihnen vorgesagt hätten – die ebenfalls noch nie in Syrien gewesen seien.
    Assad habe zum Beispiel bei seinem Amtsantritt sofort die systematische Folter abgeschafft. Wo gefoltert werde, geschehe dies gegen seinen ausdrücklichen Befehl. Nicht viel anders als in manchen westlichen Staaten, zum Beispiel in den USA . Assad sei auch kein Schlächter. Diese Bezeichnung treffe seine Persönlichkeit überhaupt nicht. Mit der neuen Verfassung habe er mehr Reformbereitschaft gezeigt als die meisten anderen arabischen Herrscher. Wenn auch spät. Er sei eben ein Zauderer, ein »Cunctator«.
    Allerdings könne er unternehmen, was er wolle, stets erschalle der Ruf Catos: »Ceterum censeo Carthaginem esse delendam – Im Übrigen meine ich, dass Karthago zerstört werden muss.« Syrien sei für die USA das, was für die Römer Karthago gewe sen sei. Ein Hindernis, das weg müsse. Weil es nicht nach der Pfeife der amerikanischen Imperatoren tanze. Vor allem weil es sich nicht am Boykott gegen Iran beteilige.
    Der leise argumentierende Kirchenführer mit der langen schwarzen Robe, dem kahlen Haupt, dem grauen Bart und dem liebenswert stillen Lächeln versteht sich als Anwalt religiöser Toleranz. Das Miteinander von Christen, Sunniten, Schiiten, Alawiten, Drusen, Ismailiten und der einigen hundert Juden sei ein hoher Wert. Auch im demokratischen Sinn. Es sei erstaunlich, dass der Westen das nicht erkenne. Durch die vom Ausland unterstützte Revolution sei dieses Miteinander in seinen Grundlagen erschüttert. Der Westen müsse aufhören, den Konflikt anzuheizen.
    Als Christ plädiere er für ein baldiges Schweigen der Waffen, für einen Allparteiendialog und für weitere demokratische Reformen. Gewalt sei keine Lösung. Inzwischen töteten die Rebellen mehr Zivilisten als die staatlichen Sicherheitskräfte. Immer wieder höre ich in Syrien diese Behauptung.
    Gregorios hat ein bewegendes Friedensmanifest verfasst, einen »Hilfeschrei«. Man müsse schlichten, bevor es zu spät sei. »Auf welcher moralischen Grundlage zerstört der Westen dieses Land?«, fragte er zum Abschluss verzweifelt. »Können Sie mir das sagen?«
    Sinan, der Rebell von Homs
    Auch Homs wollte ich Frédéric zeigen. Diesmal mit Scharif, einem sunnitischen Ingenieur aus der umkämpften Stadt. Wir reisten mit zwei Wagen. Im zweiten Auto saßen ein Vetter Scharifs und eine Haushaltshilfe.
    Die Stadt war im Frühjahr 2012 zur wichtigsten Hochburg des Aufstands geworden. Scharif meinte, die Rebellen hätten die Zurückhaltung der syrischen Sicherheitskräfte nach Bekanntgabe des Friedensplans von Kofi Annan zum Vormarsch genutzt. Dadurch habe das Regime weite Teile der Stadt verloren.
    Die staatlichen Sicherheitskräfte kontrollierten nur noch 25 Prozent der Stadt. Vor allem das Alawitenviertel und Baba Amr. 50 Prozent würden von Rebellen beherrscht. 25 Prozent seien Niemandsland.
    Die Mehrheit der Bevölkerung sei geflohen. Die meisten interessanterweise nicht ins Ausland, sondern in Städte wie Damaskus, die unter Kontrolle der Regierung stünden. Darüber spreche im Westen kaum jemand. Es passe nicht ins Weltbild des Westens, dass die meisten syrischen Flüchtlinge den Schutz der Truppen Assads suchten.
    Scharif sagte, er sei kein Anhänger Assads. In seiner Familie sei die eine Hälfte für, die andere gegen Assad. Er sehe sich irgendwo in der Mitte. Für eine Übergangszeit werde man Assad noch brauchen. Aber nicht für immer.
    Auf der Schnellstraße nach Homs gab es auch diesmal nur wenig Verkehr. Es regnete leicht. Wenige Meter vor dem Stadteingang sahen wir erstmals eine

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