Du stirbst nicht: Roman (German Edition)
Garderobenständer, setzte sich. Bestellte einen schwarzen Tee, ein Stück Kirschkuchen. Maljutka kippte das erste Glas Rotwein, längst hatte sie eine Flasche bestellt, mit dem Trinken aber auf Helene gewartet, und goss sofort nach, als sie hörte, dass sie die Flasche würde alleine leeren müssen.
Sie schwiegen.
Sie schwiegen lange, nur das Kratzen der Kuchengabel auf dem Teller, Maljutkas kehliges Schluckgeräusch beim Trinken und das gelegentliche Aufsetzen des Teeglases auf dem Untersatz blieben zu hören. Schließlich räusperte sich Maljutka und fragte nach Lissy, die sie beeindruckend gefunden hatte bei ihrem ersten und letzten Besuch in Helenes Zuhause, so ohne Fett auf den Rippen und doch irgendwie stark und sehnig, sagte sie, und ein unsicheres Flackern erschien in ihren Augen. Helene nahm die Frage zum Anlass, der beidseitigen Verlegenheit ein Schnippchen schlagen zu wollen. Sie legte los mit Entwicklungsberichten aller fünf Kinder im letzten Halbjahr, und als sie, beinahe erschöpft, absetzte, sahen sie sich an und mussten lachen. Befreit meinte Maljutka, sie könnte ja verstehen, wie wichtig Matthes für Helene sei. Dass sie kein Recht habe, sich da reinzuhängen, dass sie aber geglaubt hätte, sich nicht mehr verlieben zu können, und da hätte ihr Helene einen gehörigen Strich durch die offenbar voreilig veranschlagte Rechnung gemacht. Sie schämte sich dennoch kein bisschen, nicht der Männer-Fotoaktion noch der dussligen Zustände, in die sie immer wieder geraten wäre, so ohne Helene und doch ganz mit ihr, so himmelhochjauchzendzutodebetrübt , so einfordernd und wieder weichend, so vor und zurück. So sei das eben, sie wäre aus der Übung im Lieben. In letzter Zeit hätte sie sich dann zu dem Gedanken verstiegen, Frauenliebe liefe doch außer Konkurrenz, wäre keine Gefahr, für nichts, für niemanden, und wenn sie, Helene, das auch so sehen könnte, müssten sie doch niemandem sagen, wie es um sie bestellt wäre, oder? Ein Tag in der Woche würde reichen, ach, was sagte sie, einmal im Monat!, alle zwei Monate!, sie könnte warten, würde warten, würde doch niemandem etwas wegnehmen, sondern ihr, Helene, höchstens etwas schenken wollen! Ganz klein wurde sie bei dieser Rede, schrumpfte unter Helenes ungläubigem Blick, den sie in Dackelmanier erwiderte, und Helene mochte nicht glauben, dass es Maljutka Malysch war, die gesprochen hatte. Dass es Maljutka Malysch war, die kein Recht zu haben glaubte, sich in Helenes Beziehungen reinzuhängen, dabei hatte Helene selbst sie mitten hineingehängt, ihr eine Gloriole verpasst und sie über allem segeln lassen, was Gott werden ließ im letzten halben Jahr. Nein, Maljutka. Du hast sehr wohl das Recht, das Recht zu haben. Helene hatte ihr sagen wollen, wie sie sie heute zum ersten Mal, auf Anhieb, gesehen hatte: Als Frau, nicht als Neutrum oder kastrierten Kerl , wie es ihr zuvor einfach passiert war, sie hatte das gar nicht ändern können, etwas anderes als abwarten hätte nichts gebracht, glaubte sie zu wissen, aber gleichzeitig wurde es ihr auf der Stelle zu viel, Maljutka das zu erklären und ihr damit das Hoffen zu stärken, das sie ihr hatte nehmen wollen; den ganzen Weg, die lange S-Bahn-Fahrt über hatte sie nach den richtigen Worten gesucht, den Abschied plausibel zu machen, den sie Maljutka zu geben vorhatte. Den vorläufigen, versuchsweisen, unter Vorbehalt stehenden, zeitweiligen, vorübergehenden, experimentellen, behelfsmäßigen, provisorischen, den Abschied bis auf Weiteres, zur Probe, bis auf Widerruf, den Interimsabschied. Das noch leicht geöffnete Türchen fest im Blick. So ein Türchen sollte der Abschied schon offen lassen, es war, als wollte sie, wenn schon nicht den Fuß, so aber doch den Schuh dort stehen lassen. Schon aber fragte sie sich, wovon sie sich in diesem Falle zu verabschieden hatte. Von täglichen, mitunter sogar mehrmals täglich gewechselten Mails? Von Nichttagen und Nichtnächten, die sie miteinander hatten? Wie lange hatten sie einander schon nicht mehr gesehen? Das letzte Mal war ihre Märznacht gewesen, danach hatte Maljutka ihr den Abschied gegeben, jedenfalls hatte das anfangs so ausgesehen, bis dann wieder täglich die Mails eintrafen und abgingen und alles zurückgeschnippt war in den früheren Zustand der ausgesprochenen, ungelebten Liebe, der für Helene zu einem des ungeliebten Lebens zu werden drohte, wenn sie ihm nicht irgendwie Einhalt gebot. Nicht mit Abstand ordnete, was der Ordnung weit abstand,
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