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Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Titel: Du stirbst nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Schmidt
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sagen konnte, warum. Das Gefühl der Gefahr, die von diesem Sätzchen ausging, ist ihr deutlich und präsent, sooft sie es aufruft, nur lokalisieren kann sie sie nicht. Das Nachdenken darüber gelingt nicht, es verflüssigt sich, sie stellt sich vor, dass es in den Fugen zwischen den Hirnwindungen versickert, versackt, ehe sie es hätte festhalten können. Ganz ähnlich ist es mit den doppelten Verneinungen, die ihr solches Kopfzerbrechen bereiten. Ja, ihr Kopf war zerbrochen, ein gutes Stück Schale war abgenommen, zum Glück sofort wieder aufgesetzt worden. Problemlos eingeheilt. Bestimmt war es für die Dauer der Operation tiefgekühlt worden. Wenn sie sich die Haare wäscht, spürt sie die Temperatur des Wassers nicht auf einem großen Teil der linken Schädelhälfte. Sie findet das eigentlich seltsam, denn die Haut hatte man doch einfach nur aufgeklappt, sie hatte doch Wärmerezeptoren, die nicht ausgeschaltet worden sein konnten während der Operation! Schiebt sie das vielleicht auf den tiefgekühlten Knochen? Dass er sich nicht erholt hat von dem Schock und die Hautrezeptoren blockiert? Jetzt schlägt sie mit der linken Hand auf den Schädel ein, wenigstens das merkt sie.
Verzweiflungsanfälle häufen sich. Seit der epileptischen Attacke, wenn sie es recht bedenkt. Noch immer hat sie den Ärzten hier nicht gestanden, dass sie das Antiepilektikum nicht mehr einnimmt. Wundert sich, dass keine Blutkontrolle ansteht, die sie von alleine auf den Trichter bringen würde. Es müsste doch überprüft werden, ob die Dosierung stimmte! Nur auf ausdrückliches Befragen hin würde sie das zugeben, nimmt sie sich vor. So schlampig, wie das hier gehandhabt wird …
Über alldem hat sie den Verzweiflungsanfall aber schon beinahe hinter sich gebracht. Womöglich ist das Entlangrennen an Gedanken, die sich aneinanderreihen wie Häuser einer endlosen Straße (man nimmt sie während der Bewegung wahr, vergisst sie aber sofort wieder), eine – oder ihre? – Methode, mit solchen Attacken fertig zu werden.
Noch fünfzehn Minuten bis zum Abendbrot. Sie hat sich eine Zeitung gekauft heute, schlägt sie auf. Auf der Berliner Lokalseite prangt ein Foto von jemandem, den sie kennt. Der Schadhafte sitzt da, im Rollstuhl an einem Tisch, benommen von Neugier versucht Helene zu lesen, muss innehalten, unterbrechen, von vorn beginnen, noch einmal und noch einmal, bis sie versteht.
Wojziech K., steht da, war Opfer des U-Bahn-Schubsers geworden, war am helllichten Tag, die Geige auf dem Rücken, von ihm vor einen einfahrenden Zug gestoßen worden. Ein begabter Geiger sei er gewesen, der seine Zeit mit Musik und Informatik verbrachte, zwischen denen er sich noch nicht hatte entscheiden können, was seine Zukunft betraf. Diese Entscheidung war ihm ja nun wenigstens abgenommen worden, denkt Helene und schämt sich auf der Stelle des Zynismus, der sich da breitmacht. Es ist ein mutloser, instinktiver Zynismus, mit tiefem Bedauern vermischt, mit einer riesigen Mitleidswelle im Bug, denn sie denkt an Bengt, den angehenden Musiker, und daran, wie unglaublich es war, auf diese Weise um sein Leben gebracht zu werden und doch am Leben bleiben zu müssen. Sie liest den Artikel noch mal und noch mal, der Täter steht vor Gericht, Wojziech K. ist als Opfer fotografiert worden, ein Bild des Täters gibt es nicht. Ob ihm das recht ist?, denkt Helene, ob ihn jemand gefragt hat vor dem Fotografieren? Ein Basecap trägt er, sodass das Fehlen eines Teils der Schädeldecke nur ahnbar ist. Seine Beine sind unter dem Tisch verschwunden, und er trägt eine dunkle Lederjacke, ein Ärmel wurde in die Tasche gesteckt. Offenbar konnte er sich zum Tathergang äußern. Der Täter wurde für schuldunfähig erklärt und in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen, steht da. Stimmen habe er gehört, die ihm befohlen hätten, Leuten etwas zuzufügen, die Welt von ihnen zu befreien. Wojziech sieht so gefasst aus, nein, mild und sanft sind die besseren Worte!, als könne er dem psychisch kranken Täter nachsehen, was er angerichtet hat mit ihm. Wenn sie überlegt, so hat sie ihn tatsächlich einige Tage schon nicht mehr gesehen in Heidemühlen. Nicht, dass sie ihn gesucht und nicht gefunden hätte, dennoch fällt ihr sein Fehlen nun auf. Man könnte ihn entlassen haben oder verlegt für die Prozessdauer, um die Strapazen so gering wie möglich zu halten. Sie wird ein Auge darauf haben, ob er wieder eintrifft, sagt sie sich. Wird zum Essen jedes Mal durch den linken

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