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Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Titel: Du stirbst nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Schmidt
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damit abzufinden, sagt sie, wenn Matthes sich damit abfände, dass sie die Wahl eines passenden Gestells gerne ihm überließe. Das sind nun aber Ölworte im Feuer. Da muss der Matthes jetzt aber korrekterweise heftig protestieren, und das tut er.
Sie sei wohl verrückt! Sie sei eine schöne Frau, nach der sich nicht nur die Männer umdrehen!
Was hat er da gesagt? Weiß er überhaupt, was er da gesagt hat? Matthes tut jetzt so, als habe er überhaupt nichts gesagt. Sie zweifelt. Forscht dem Nachhall in ihren Ohren nach. Wird unsicher.
… nach der sich die Männer umdrehen!
Das wären zwei Worte weniger, vielleicht hat sie zwei Worte mehr gehört, als er gesagt hat, sie sieht ihm forschend ins Gesicht, aber er lächelt nur unverfänglich. Ihre Unsicherheit macht, dass sie zu zittern beginnt, er nimmt die Brille, die sie gerade aufprobiert hat – Metallgestell, hellblau, halbrundes Glas –, aus ihrer Hand und hält sie beruhigend fest, aber sie hasst das in diesem Moment. Ein Blick in die Gesichter der Umstehenden, des Optikers und zweier nachfolgender Kunden, zeigt keine Zeichen von Verunsicherung an über das, was Matthes da eben gesagt hat, sie wird sich verhört haben, ja, sie hat sich einfach verhört. Nun will sie aber doch schnell hier raus, sie stimmt dem hellblauen Metallgestell zu, das Matthes für das drittschönste hält, und reicht ihren Brillenpass über den Tisch, in dem die Werte der Gläser vermerkt sind. Nein, eine Neuvermessung ihrer Sehkraft möchte sie jetzt auf keinen Fall vornehmen lassen.
Heilfroh ist sie, als sie ein Stückchen Tüte mit dem Abholdatum und ihrem Namen in der Hand hält und Matthes mit ihr den Laden verlässt.

Wo bleibt eigentlich Lottchen, wenn Matthes kommt? In Heidemühlen war Lottchen noch nicht, das wundert sie. Wahrscheinlich hat Matthes seine Eltern gebeten, nachmittags vorbeizuschauen und nach Lottchen zu sehen. Mareile hat einfach zu viel um die Ohren (Chor, Orchester, Schülertheater, kein Sport, zu ihrem Leidwesen), und Lissy ist unzuverlässig. Auch Billy wohnt in Karlshorst, aber nach einem Schuljahr in Dänemark zog es ihn zu seiner Freundin. Sie wohnen auf der anderen Seite der Treskowallee, vielleicht zwei Kilometer entfernt. Wenn Helene an Billy denkt, geht ihr das Herz auf.
Jetzt denkt sie an Billy.
Ihr Herz geht auf.
Um den Kohl fett zu machen, klopft es.
Herein?
Billy.
Ist denn das die Möglichkeit? Gerade habe ich an dich gedacht!
Es ist eine Freude, ihn zu sehen. Braun gebrannt, langbeinig. Natürlich hat er alle Schönheit von seinem Vater. Wenn er nach der Mutter käme, täte er ihr ein bisschen leid.
Mit feinspürigem Blick, der immer ein Stückchen unter die Haut schlüpft, umarmt er Helene. Er packt eine Puppe aus, ein kleines, ebenso langbeiniges Geschöpf wie Billy selbst, und setzt sie seiner Mutter auf den Schoß. Die Sorgenpuppe. Selbst genäht hat er die, mit Helenes alter Maschine, die auf dem Dachboden ein unbeachtetes Dasein fristete. Jetzt aber offensichtlich nicht mehr, denn Billy dreht sich: Sieh mich an, ich habe mich neu eingekleidet! Helene erkennt die Stoffe ausgemusterter Sachen, von denen sie gedacht hätte, dass sie im Container gelandet wären: Ihr alter Wendewickelrock, die eine Seite schwarz mit Streublümchen, die andere schwarz mit weißen Pünktchen, hat für ein ganzes Oberhemd und eine Schiebermütze gereicht! Dem hell- und dunkelblau karierten Blazer, schlimmes Stück, sind von schwarzem Sweatstoff der Kragen und Teile der vorderen Blenden abgejagt worden, er ist eindeutig vermännlicht worden. Verrückt, der Junge kann wirklich alles anziehen und alles durcheinander, und es wird immer gut aussehen.
Billy erzählt, dass er wieder zu Hause eingezogen sei. Es sei doch nicht einfach für alle im Moment, und auch Bengt überlege, ein Urlaubssemester zu nehmen und nach Berlin zu kommen, um einspringen zu können.
Nun ist ihr klar, wo Lottchen bleibt.
So gerührt ist Helene, dass sie wieder einmal gar nichts sagen kann.

Das Essen gibt es jetzt natürlich im großen Speisesaal. Helene hat einen Platz zugewiesen bekommen. Ein Nagelbrett, eine zweigriffige Tasse. Die kann sie gar nicht gebrauchen, denn sie kriegt die rechte Hand sowieso keinen Zentimeter hoch. Was soll’s. Helene sitzt ganz allein an diesem Vierertisch. Das findet sie seltsam, denn alle anderen Tische sind mit mindestens zwei, meist aber vier Personen besetzt. Vielleicht ist die Tischbesatzung entlassen worden vor Kurzem?
Sie holt sich Abendessen. Der Teller

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