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Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Titel: Du stirbst nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Schmidt
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angesehen hatte. Er hätte Einspruch erheben können, aber seine Frau hatte die Namen offenbar sofort nach der Geburt mit solcher Bestimmtheit angegeben, dass es einem Affront gleichgekommen wäre, den er bequemerweise hatte vermeiden wollen. Darüber ärgerte er sich noch heute. Jakobine freute sich sehr, dass er an sie gedacht hatte, natürlich sagte sie zu, und Viktor war an jenem Abend tatsächlich in die Kneipe gegangen. An einem Ecktisch entdeckte er den Mann, der ihn eingeladen hatte. Eine lustige Männerrunde war da schon versammelt, und – man sprach Russisch. Einer von ihnen, ein Schmächtiger, Unansehnlicher mit hagerem, kaum unterfüttertem Gesicht, Wolodja, sagte er nur, als Viktor sich vorgestellt hatte, war ein bisschen schweigsamer als die anderen, Viktor aber, der gelernt hatte, gerade darauf zu achten, fühlte sich von ihm unausgesetzt beobachtet. Wolodja sagte, auf Nachfrage natürlich, dass er Student sei, auf die Frage nach der Fachrichtung antwortete er ausweichend, dass sein Studium mit Maschinenbau zu tun hätte und gleichzeitig mit Philosophie, Viktor hatte noch gedacht, sich verhört zu haben, und wollte nachfragen, da plauzte der schweigsame Wolodja plötzlich eine Flasche Wodka auf den Tisch. Forderte die Anwesenden auf, sich zu bedienen. Heute feierte man in der Sowjetunion den Tag des Metallurgen , sagte er. (Helene hatte sogar nachgesehen im letzten Jahr, sie erinnert sich: Es war der dritte Sonntag im Juli, an dem man diesen Tag beging.) Viktor zögerte, wenn er einmal anfing, sagte er, konnte er womöglich nicht aufhören. Und überhaupt – eigentlich war er von einem der Anwesenden zum Essen eingeladen worden, wie er in diese Russenrunde gekommen war, war ihm schleierhaft. Dabei waren sie keineswegs alle Russen, aber sie sprachen die Sprache mindestens ebenso gut wie Viktor. Kandidat für die Internationale Russischolympiade hatte er in der elften Klasse werden sollen, war auch eine Weile zum zentralen Treffen der Olympiadekader gefahren. Man hatte verfügt, dass er Fächer wie Chemie und Physik nicht brauchte, und stattdessen einen Russisch-Lernplan für ihn aufgestellt, den er mithilfe seiner Lehrerin hatte erfüllen sollen. Er hatte sich geweigert, das zu tun. Physik war sein absolutes Lieblingsfach gewesen, und wenn es ihm seltsamerweise auch nie in den Sinn gekommen wäre, das Fach zu studieren, so hatte es doch eine Faszination ausgeübt, die stärker war als Wunsch und Wille, Russisch zu sprechen. Verstanden hatte das keiner, er war Spießruten gelaufen, als er zurück in seine Schule gekommen war … Immerhin sprach er gut genug Russisch, um Wolodja auszufragen, was diesem aber unangenehm wurde. Er ging zur Toilette und setzte sich, als er zurückkam, auf einen Platz Viktor gegenüber, es war schwierig, über die Tischdistanz ein Wort mit ihm zu wechseln. Viktor erinnerte sich wieder an das versprochene Essen und ging daran, es auf eigene Faust zu bestellen, denn er war hungrig und hatte nicht damit gerechnet, so lange sitzen gelassen zu werden. Was hatte er gegessen? Tiegelwurst, erinnert sich Helene, mit gebratenen Zwiebeln, Sauerkraut und Ärbernbabbe . Das war etwas, was Wolodja ganz eklig fand und ihn sich die Nase zuhalten ließ. Er war dreiunddreißig Jahre alt. Hätte ihm an jenem Abend jemand gesagt, dass er eines Tages russischer Präsident werden würde, wäre es vermutlich ganz still geworden für einen Moment, und dann hätten sie nicht anders gekonnt, als lauthals loszulachen und dem, der das gesagt hat, für den gekonnten Witz auf die Schultern zu klopfen.
Viktor war nichts für Putin. Putin suchte Verschlagene, denen es nichts ausmachte, auf mehreren Hochzeiten zu tanzen, hatte Viola gesagt. Viktor hatte das nicht gewusst. Viktor hatte auch nicht gewusst, dass er mit Putin gesprochen hatte. Er hatte sich lediglich gewundert, in was für eine Gesellschaft er da geraten war. Als der »Volksliedforscher« nicht, wie angekündigt, die Rechnung bezahlt hatte und gegangen war, ohne ein Wort zu den gesammelten Volksliedern gesagt zu haben, hatte Viktor an Geheimdienst gedacht, sagte Viola. Es aber auch wieder vergessen, weil es nicht eben selten war, an Geheimdienst denken zu müssen. Dass Viktor mit Putin gesprochen hatte, hatte erst Viola vierzehn Jahre später bemerkt. Putin war sich vielleicht nicht ganz treu, aber ähnlich geblieben …
Helene weiß auf einmal nicht mehr, was Viola mit Viktor zu tun hat.
Hat Viola mit Viktor zu tun?
Noch einmal schließt sie

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