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Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Titel: Du stirbst nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Schmidt
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verbessert sich die bestehende Situation stets und ständig – das hat sie bislang richtiggehend ausgeblendet. Sie will den Optimismus am Kragen packen, damit er ihr nicht entkommt. Der Optimismus hat aber gar keinen Kragen, sondern steht auf einmal als nacktes Männchen im Raum, über das sie lachen muss. Das Männchen wird traurig, seine Schultern fallen ein, es dreht sich um und will verschwinden, sich einfach aus dem Staub machen. Halt!, ruft sie laut, bezwingt das Lachen und beschließt, dem Kerlchen zur Seite zu stehen, es nicht aus den Augen zu lassen, es unter die Fittiche zu nehmen, es aufzupäppeln und zu einer schönen, stolzen Erscheinung zu machen. Da erst fällt ihr auf, dass der Optimismus männlich ist, sie sieht sein Schwänzchen und den zarten Bartflaum, der ihm um den Mund geschrieben steht. Vielleicht sollte sie ihn beim Aufpäppeln Anteil nehmen lassen an ihren Östrogenen und ihn zu einer schönen, stolzen Weiblichkeit machen … Wie ist das eigentlich mit ihrer Weiblichkeit? Im vergangenen Jahr war sie noch einmal schwanger geworden, ihr sechstes Kind hatte sich vier Monate lang angekündigt und war dann wieder verschwunden. Sie hatte an der Fehlgeburt schwer zu leiden gehabt, obwohl es ein unbeabsichtigtes und unerwartetes Kind gewesen war. Jenseits der vierzig, hatte sie die Wahrscheinlichkeit, noch einmal schwanger werden zu können, wohl in den Skat gedrückt. Und jetzt? Sie hat ihre Regel doch schon mehr als zwei Monate nicht gehabt, oder?
O Gott.
Was, wenn sie schwanger ist?
Wenn das Kind Schaden genommen hat an dem, was man ihm zugemutet hat über die vielen Wochen? Plötzlich wird sie unruhig.
Sie möchte einen Termin bei einem Gynäkologen, sagt sie der Oberschwester, die sie im Schwesternzimmer aufsucht.

Wie alt sind Sie?, fragt der Gynäkologe.
Vierundvierzig, antwortet sie.
Die Oberschwester hat sofort veranlasst, dass sie einen Termin bekommt. Sogar den Krankentransport hat sie benachrichtigt, obwohl der ortsansässige Frauenarzt gar nicht weit von der Rehaklinik entfernt praktiziert.
Helene hat von ihrer Angst gesprochen, schwanger zu sein.
Letzte Regel?
Sie denkt, es war um den zehnten Juli herum, sie erinnert sich daran, dass sie glaubte, geblutet zu haben, als sie aus dem Koma erwacht war. So genau weiß sie das nicht, sagt sie. Der Arzt macht einen Schwangerschaftstest. Er fällt negativ aus. Sie rechnet. Sie kann dem Arzt doch nicht erzählen, dass sie drei oder vier Wochen nach dem Platzen eines Hirnaneurysmas Geschlechtsverkehr hatte, oder? Wann war das? Mitte August? Und wenn noch nicht genügend Zeit vergangen ist für einen Schwangerschaftstest?
Der Arzt sagt, alles spräche gegen eine Schwangerschaft. Keine livide Verfärbung der Vulva, die Brüste locker und nicht gespannt, Mittellinie des Bauches und Warzenhöfe nicht pigmentiert. Vom Schwangerschaftstest ganz zu schweigen.
Er sieht sie lange an. Dann sagt er, dass sie mit vierundvierzig zwar noch keineswegs zum alten Eisen gehört, aber sich darauf einstellen kann, dass ihre Regelblutung sich womöglich verabschiedet hat. Das sei nach geplatzten Hirnaneurysmen oft der Fall.
Da ist sie baff. Das geht ihr jetzt aber zu flott. Das will sie aber doch lieber erst einmal sacken lassen, denn damit hatte sie ja nun gar nicht gerechnet. So schnell soll sie jenseits der Wechseljahre sein, die in diesem Fall ja eigentlich nur Wechseltage, Wechselwochen gewesen wären? Interessant. Der Gedanke schmerzt direkt ein bisschen, wenn sie ihm nachgeht. Das ganze letzte Jahr hatte das Schwermutsschwert über den unglücklichen Ausgang der Schwangerschaft über ihr gependelt, mal bedenklich nahe, mal hoch genug über ihrem Kopf, dass sie es gerade noch erahnen konnte. Wenn es ihr nahekam, hätte sie am liebsten mit Matthes ins Bett kriechen und einen neuen Versuch starten wollen, den die Vernunft ihr natürlich austrieb. Aber es war gut gewesen, zu wissen, dass es noch nicht vorbei war, dass auch sie noch konnte , wenn sie es darauf angelegt hätte. Nun konnte sie vielleicht nicht mehr …
Sie ist erst einmal traurig.
Matthes würde erleichtert sein.
Von Maljutka Malysch, muss sie plötzlich denken, hätte sie ohnehin kein Kind bekommen können.

Diese Nacht träumt sie von Putin. Putin als Djed Moros, mit weißem Bart und eisgrauem, blau schimmerndem Pelzmantel. An seiner Seite Enkelin Snjegurotschka, das Schneeflöckchen. Djed Moros Putin entsteigt seiner Troika und verteilt Geschenke. Matthes bekommt eines, die Töchter, die Söhne,

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