Du wirst noch an mich denken
»Aber was erzähle ich Ihnen da? Ich kann es nicht fassen!«
»Damit wären wir schon zu zweit«, murmelte James.
»Es ist nur ... na ja, Sie wirken auf mich so, als wüssten Sie in solchen Dingen Bescheid.«
»Hören Sie, kommen Sie nicht ...« James stockte, er wusste nicht, wie er es ihr beibringen sollte, ohne allzu überheblich zu klingen. Doch dann beschloss er, nicht lange um den heißen Brei herumzureden. Immer noch besser, sie hielt ihn für eitel, als ein Missverständnis zu riskieren. Tatsache war, dass sie im gleichen Haus wohnten und miteinander auskommen mussten, und je weniger Spannungen es zwischen ihnen gab, desto besser. »Kommen Sie nicht auf die Idee, mich in Ihre Überlegungen einzubeziehen, okay? Sie sind nicht mein Typ, und ich lasse mich nicht mit Anfängerinnen ein.«
»Hat das jemand von Ihnen verlangt?«, fragte Aunie, und ihre Stimme klang tief verletzt dabei. James kam sich auf einmal ganz schäbig vor. Vielleicht hatte sie wirklich drei Sekunden lang gedacht, dass er einen guten Lehrer abgeben würde. Aber sei's drum, jetzt wusste sie, dass er in einer anderen Liga spielte.
»Vielleicht hätte ich Ihnen das alles nicht erzählen sollen«, fuhr sie kühl fort, »aber ich hatte es keineswegs darauf angelegt, dass Sie mir Nachhilfeunterricht in Sachen Sex anbieten, Sie können sich also wieder beruhigen. Genauso wenig hege ich irgendwelche geheimen Absichten in Bezug auf Ihren Körper, und ich habe ganz bestimmt nicht vor, mir einen Mann zu angeln, das können Sie mir glauben. Das Einzige, was Sie und ich wahrscheinlich gemeinsam haben, Mister Ryder, ist der Wunsch, jede Form von Bindung zu vermeiden.«
Etwas an ihrem Gesichtsausdruck ließ James wieder an die Misshandlungen denken, die ihr jemand zugefügt hatte, und er fragte sich zum ersten Mal, was für ein Mann das sein musste, der dazu fähig war, auf ein solches Gesicht einzuschlagen. Doch gleich darauf sah sie ihn mit einem unverbindlichen, höflichen Lächeln an, und er ließ den Gedanken fahren, im Grunde genommen wollte er es gar nicht wissen.
»Vergessen Sie, was ich gerade über eine Affäre gesagt habe, ja?«, sagte sie. »Es war dumm von mir, damit vor jemandem herauszuplatzen, den ich kaum kenne.« Plötzliches brach sie in lautes, herzhaftes Lachen aus. »Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie schwierig es ist, eine vernünftige Unterhaltung mit jemandem zu führen, dem ein Beil aus dem Kopf ragt?«
Er zwinkerte ihr grinsend zu und ließ das Beil hin und her wackeln.
In diesem Moment wurde an die Tür geklopft, und Aunie zuckte zusammen. »Erwarten Sie jemanden?«, fragte James.
»Nein.« Mit weit aufgerissenen Augen erwiderte sie seinen Blick. »Außer Otis und Lola kenne ich niemanden in Seattle. Ich lebe noch nicht lange genug hier, um schon viele Bekanntschaften geschlossen zu haben.«
James entging nicht, wie angespannt sie plötzlich war. Ebenso wenig entging ihm, dass sie beiläufig eine kleine scharfe Schere vom Nachttisch nahm und in ihre hintere Hosentasche steckte. Mit einem Stirnrunzeln folgte er ihr ins Wohnzimmer.
Vorsichtig öffnete sie ihre Wohnungstür. Davor stand ein groß gewachsener Mann und kratzte sich am Kopf, als er auf sie hinuntersah. Mit seinen ungekämmten Haaren, die dringend mal wieder einen Besuch beim Friseur vertragen konnten, den breiten Schultern und dem massiven Brustkorb ging etwas leicht Bedrohliches von ihm aus. Er trug ein Paar abgetragene, ausgebeulte Jeans, ein ausgeleiertes altes T-Shirt mit einem verblichenen Harley-Davidson-Logo und eine zerschlissene Jeansweste. Seinen Unterarm zierte ein tätowierter Dolch, um den sich eine Rose wand. Irgendwie kam er ihr bekannt vor, obwohl sie sicher war, dass sie noch nie ein Wort mit ihm gewechselt hatte. Vielleicht erinnerte er sie ja auch nur an die Bilder, die sie von den Hells Angels gesehen hatte. Sie blickte ihn unsicher an. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Ist Jimmy hier?« Seine Stimme klang überraschend melodiös. »Otis' Frau meinte, er wäre vielleicht bei Ihnen.«
»Das ist mein Bruder«, erklärte ihr James ohne große Begeisterung, als sie ihm über die Schulter einen Blick zuwarf.
Natürlich, daher kannte sie ihn - sie hatte ihn ein paarmal gesehen, wenn er in James' Wohnung ging. Sie öffnete ihre Tür ganz und lächelte ihn an. »Kommen Sie rein.«
»Danke.« Er schob sich durch die Tür. »Ich bin Bob. Hey, Jimmy.« Er starrte das Beil an, das in der Stirn seines Bruders steckte. »Mensch, Kleiner, wirst du
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