Du zahlst den Preis fuer mein Leben
Ohne gültigen Kaufvertrag aber konnte Bapak keine Gelder für einen Wiederaufbau beantragen. Er selber besaß nichts mehr.
Auch seinen Job beim Roten Kreuz hatte er inzwischen verloren wie viele andere, weil die Aufbauarbeiten so gut wie abgeschlossen waren. Er war verzweifelt, weil er nicht wusste, wie er seine Familie ernähren sollte. Nicas Mutter versprach, ihm zu helfen.
Für Kali und Riani dagegen hatte sich die Situation verbessert. Es waren mit den internationalen Hilfsgeldern neue Schulen gebaut worden, die sogar Computerräume hatten. Kalis Traum, Ingenieur zu werden, konnte nun in Erfüllung gehen. Auch Riani war begeistert über die neue Schule. Nica und ihre Mutter waren bei der Einweihungsfeier dabei.
Die Mädchen aus Rianis Klasse sangen für die Gäste. Stolz trugen sie die neue Schuluniform: einen roten langen Rock, eine weiße Bluse und ein weißes Kopftuch. Manche hatten auf das Kopftuch ein blaues Cap mit dem Schullogo gesetzt, andere hatten es mit weißer Spitze verziert.
Riani führte sie stolz durch das ganze Gebäude. »Meine Mutter hat nie lesen und schreiben gelernt«, sagte sie. »Aber ich darf Lehrerin werden. Ibu und Bapak haben es versprochen.«
Auch Rianis Mutter zeigte ihnen voller Stolz die Zeugnisse ihrer Tochter. »Sie wird eine gute Lehrerin werden«, sagte sie. »Ich hatte nie diese Chance. Ich habe mit vierzehn Jahren geheiratet.«
Als Nicas Mutter sie daraufhin entsetzt ansah, lächelte sie nur. »Das ist bei uns so üblich.«
Nica und Riani schrieben sich regelmäßig E-Mails. Über den Computer ihrer neuen Schule hielten sie den Kontakt bis zum nächsten Wiedersehen aufrecht. Nica schickte Fotos, von Riani kam nur selten ein Bild, bis Nicas Mutter ihr einen Fotoapparat schenkte. Ein Jahr lang schickte Riani regelmäßig Fotos von ihrem Leben. Bilder von Dorffesten, von Schulfesten, von ihrer Familie, Riani, die den Preis als Klassenbeste bekam. Bilder einer fröhlichen, immer lachenden Riani, die ihrem großen Traum, eines Tages Lehrerin zu werden, Schritt für Schritt näher kam.
Dann, im November 2009, brach der Kontakt ganz plötzlich ab. Keine Mails von Riani mehr, ihr Facebook-Account wurde gelöscht. Riani verschwand von einem Tag auf den anderen aus ihrem Leben.
4
»Wo ist Riani?« Als Nica 2009 wie immer eine Woche vor Weihnachten mit ihrer Mutter am Sultan-Iskandar-Muda-Flughafen fünfzehn Kilometer vom Stadtzentrum von Banda Aceh ankam, schaute sie sich vergeblich nach Riani um. Das letzte Mal hatten Kali und Riani sie abgeholt. Auch die Jahre davor war immer einer aus der Familie gekommen, um sie zu begrüßen. Diesmal warteten sie vergeblich.
»Du hast ihr doch unsere Flugnummer und die Ankunftszeit gemailt?«
»Klar doch. Schon im August, direkt nachdem du gebucht hast. Sie hat sofort zurückgeschrieben, wie sehr sie sich freut und was sie mir alles zeigen will.«
»Na also, dann gibt es ja keinen Grund zur Sorge«, meinte die Mutter. »Die Zeit läuft hier etwas anders. Sie haben sich bestimmt nur verspätet. Die Busse zum Flughafen sind nicht immer pünktlich.«
»Jam karet!«,
sagte Nica und grinste die Mutter an. Wie oft hatte die sich schon darüber aufgeregt, dass in Indonesien die Zeit anders tickte.
Jam karet,
»Gummizeit« nannten es die Menschen selbstironisch. Trotzdem machte sich Nica Sorgen. »Riani hat seit vier Wochen keine Mail beantwortet. Sie ist einfach untergetaucht.«
»Komm, Nica, du weißt doch, dass die Stromversorgung manchmal ausfällt. Kurzschluss, und dann geht gar nichts mehr.«
»Aber doch nicht vier Wochen lang! Bestimmt ist ihr was passiert oder sie ist krank.«
»Früher waren Briefe oft Monate unterwegs, da hat man warten gelernt. Heutzutage denkt ihr gleich an eine Katastrophe, wenn jemand nicht innerhalb von Sekunden eine Antwort schickt. Du wirst sehen, morgen treffen wir sie und alles löst sich in Lachen auf.«
Als auch nach einer weiteren halben Stunde niemand kam, nahmen sie ein Taxi zum Hotel. Nica wäre am liebsten noch am selben Abend zum Dorf gefahren, wo Riani und ihre Familie zuletzt gewohnt hatten, aber die Mutter war nach dem zwölfstündigen Flug müde. Stattdessen gingen sie in ihr Lieblingsrestaurant, wo sie wie immer Ayamgoreng, gebratenes Hühnchen, bestellten.
»Ibu macht es besser!«, stellte Nica naserümpfend fest. »Dies hier ist viel zu lasch. Touristenessen eben.«
Die Mutter lachte. »Deine Ibu kocht natürlich besser. Aber ich bin ganz froh, dass mir nicht schon am ersten Abend der
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