Du zahlst den Preis fuer mein Leben
auch nicht einfacher als in Indonesien.
»Warum habt ihr euch nicht gemeldet?«, wollte die Mutter wissen. »Ich hatte doch versprochen, euch zu helfen.«
Bapak lächelte. »Nun sind wir ja da.«
Die Villa war groß genug, und die Wohnung im Obergeschoss stand seit dem Umzug der Großeltern ins Pflegeheim leer. Hier zogen nun Rianis Eltern mit Kali ein.
Riani wurde mit keinem Wort erwähnt. Es war, als existierte sie nicht mehr. »Wann kommt Riani?«, fragte Nica, als sie am nächsten Tag beim Essen zusammensaßen. In der Mitte der Tafel stand die goldgelbe Pyramide aus gelbem mit Kurkuma gefärbtem Reis. Nasitumpeng bringt allen, die um den Tisch versammelt sind und davon essen, Glück. Dazu gab es gegrillte Hühnerspieße mit Erdnusssoße. Bapak hielt eine kleine Rede. Er dankte Allah, dass er die Familie Kaiser kennengelernt hatte. Er dankte Nicas Mutter für die freundliche Aufnahme in ihrem Haus.
Ibu hatte Hühnerfleisch in allen Variationen gekocht:
soto ayam, sate ayam, bubur ayam, gulai ayam
. Dazu gab es Reis. Gegessen wurde am Boden und mit den Fingern.
»Sie kommt … später …« Bapaks Stimme klang freundlich. Er lächelte.
»Aber wann? Kann ich ihr schreiben? Hat sie eine neue Mailadresse? Kann ich sie in Frankfurt anrufen? Sie ist doch in Frankfurt?«
Nach kurzem Zögern nickte Bapak.
»Ist sie vielleicht krank?«
Bapak schüttelte den Kopf. »Nicht krank. Sie muss … sie muss … den Kurs zu Ende machen.«
»Welchen Kurs?«
»Deutsche Sprache.«
»Aber das kann sie doch auch hier. Ich helfe ihr.« Nica schaute von Bapak zu Ibu, die ihrem Blick auswich und etwas verlegen zu Boden sah.
Kali wollte etwas sagen, aber der Vater schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Darüber reden wir später noch. Erst mal bleibt Riani da, wo sie ist«, sagte Bapak und lächelte Nica an.
Später! Sie kommt später! Die ewig gleiche Antwort. Eine Mauer aus lächelndem Schweigen umgab alle Fragen nach Riani.
»Hör auf zu fragen, Nica«, sagte die Mutter, als sie wieder unten in der Wohnung waren. »Du siehst doch, dass sie nicht antworten wollen. Lass ihnen Zeit. Ibu fängt jedes Mal an zu weinen, wenn du von Riani sprichst. Es ist ihr sicher schwergefallen, sie in Frankfurt zurückzulassen.«
Und so erwähnte Nica Riani nicht mehr, auch wenn sie jedes Mal, wenn sie die Wohnung betrat, dachte: Wann ist endlich »später«?
5
Die Tage vergingen, wurden zu Wochen, von einer Rückkehr nach Frankfurt war nicht die Rede. Bapak übernahm die Pflege des Gartens, ersetzte Glühbirnen und reparierte die Gartenbank. Ibu kochte, machte die Wäsche, bügelte und putzte. Dafür wohnten sie umsonst und bekamen zusätzlich ein kleines Gehalt. Kali wurde in Nicas Klasse eingeschult, auch wenn er bereits zwei Jahre älter war.
Nicas Mutter war begeistert über die Lösung. Nun konnte sie endlich ohne schlechtes Gewissen ihren Geschäften nachgehen. Nica war versorgt.
Auch Nica war froh, dass sie da waren.
Wenn die Mutter auf einer ihrer zahllosen Dienstreisen war, nahm Nica noch mehr als sonst am Leben der Familie teil. Sie machte mit Kali Hausaufgaben, übte mit ihm deutsche Grammatik und half Ibu in der Küche.
Aus dem Asia-Laden in der Stadt besorgten Kali und Nica alles, was Ibu für ihre Gerichte brauchte: Kokosmilch, Sojasoße, Sambalchiliwürze, Shrimppaste und Palmzucker. Auch wenn viele Kräuter frisch nicht zu bekommen waren, war Ibu zufrieden.
Sehr verwirrend waren dagegen für Nica die muslimischen Speisevorschriften, die es einzuhalten galt und die das Einkaufen sehr kompliziert machten. Selbst Ibu war etwas verunsichert. Aas, Schweinefleisch, Blut und Alkohol waren
haram
, also verboten. Das war einfach. Aber was war mit der Schweinegelatine in Gummibärchen, die Bapak für sein Leben gern aß? War Gelatine nun insgesamt
haram
, da tote Knochen verarbeitet wurden? War das Hühnerfleisch, mit dem Ibu die meisten Gerichte herstellte, nach den vorgeschriebenen Regeln geschächtet worden, also so geschlachtet, dass das Tier vollständig ausblutete, weil Blut ja
haram
war? Und war dabei auch das vorgeschriebene
»Bismillah«
– »Im Namen Gottes« – gesprochen worden?
Im Internet suchte Nica nach muslimischen Schlachtereien, stellte aber fest, dass das Schächten, weil es ohne vorherige Betäubung des Tieres erfolgt, in Deutschland grundsätzlich verboten ist. Nur in Ausnahmefällen wird es genehmigt und auch dann nur, wenn das Tier vorher elektrisch betäubt wird.
Ibu war enttäuscht, als
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