Du zahlst den Preis fuer mein Leben
Magen durch Chili in Brand gerät.«
Am nächsten Tag ging es in einem Taxi durch die Reisfelder in das kleine Dorf im Hinterland von Banda Aceh. Überall zogen die Bauern mit ihren Wasserbüffeln durch die schlammigen Felder. Das Dorf lag am Rande eines kleinen Sees. Wie oft hatte Nica hier mit den anderen Kindern gebadet. Über dem Dorf schwebte der Qualm der offenen Herdstellen, an denen die Frauen das Mittagessen vorbereiteten.
Auch Rianis Tante rührte in einem großen Topf ihr berühmtes Hühnercurry. Drei Mal am Tag gab es warmes Essen, das schon frühmorgens für den ganzen Tag gekocht wurde. Sie strahlte über das ganze Gesicht, als sie Nica und ihre Mutter erkannte. Sie umarmte Nica. »Wie groß du geworden bist.
Apa kabar?
Wie geht es euch?«
»Danke, gut!«, sagte Nicas Mutter.
»
Di mana Ibu?
Und Riani? Wo sind sie?«, wollte Nica wissen.
Die Tante lächelte und rührte in ihrem Curry.
Nica kannte das schon. Freundliches Lächeln bedeutete immer, dass man keine Antwort bekommen würde. »Na gut, dann geh ich mal, sie suchen. Ich kenn mich ja aus.«
Die Tante hielt sie am Arm fest. Immer noch lächelnd schüttelte sie den Kopf. »Sie sind nicht mehr hier. Sie sind vor einem Monat weggegangen.«
»Weggegangen? Wohin?«
Die Tante zuckte mit den Schultern. »Bapak wollte sich eine neue Arbeit suchen. Aber es ist schwierig. Seitdem er damals den Schlag auf den Kopf erhalten hat, hat er ständig Kopfschmerzen und kann nicht mehr so hart arbeiten wie früher.«
In diesem Moment kam Rianis Onkel ins Haus. Er stutzte, als er Nica und ihre Mutter sah. Dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Er begrüßte sie höflich und lud sie zum Essen ein. Während Nica wie alle anderen geschickt aus dem Reis mit den Fingern kleine Bällchen formte, sie in die Soße tunkte und in den Mund steckte, suchte ihre Mutter vergeblich nach einer Gabel.
»Du darfst nur die rechte Hand benutzen!«, flüsterte Nica ihr zu.
»Ich soll die Bällchen mit einer Hand rollen?«
»Die linke gilt als schmutzig, weil du damit auf der Toilette den Po abwischst.«
»Was? Mit der Hand?«
»Nee, mit Wasser natürlich. Papier ist zu teuer. Es ist sehr unhöflich, die linke Hand zum Essen zu benutzen.«
Die Mutter schluckte. Richtig satt wurde sie an diesem Mittag nicht.
Zu einem richtigen Gespräch kam es auch nicht, obwohl sich Rianis Onkel und Tante bemühten, eine fröhliche Stimmung zu verbreiten. Sie erzählten von der letzten Reisernte, von den Kindern, die alle in der Schule waren und erst am Nachmittag zurückkamen.
Alle waren erleichtert, als das Essen vorüber war. Schweigend fuhren Nica und ihre Mutter zurück. »Die haben uns angelogen!«, sagte Nica nach einer Weile. »Die wissen, wo sie sind, aber wollen es nicht sagen.«
»Ach, Nica. Das bildest du dir ein. Sie waren so freundlich zu uns.«
»Das ist nur
basa-basi
.«
»
Basa
was?«
»
Basa-basi
. Du bist höflich, herzlich, superfreundlich, auch wenn du eigentlich ausflippen möchtest. Das Freundliche hat nichts zu bedeuten.«
»Aber warum sollten sie lügen? Das macht doch keinen Sinn.«
Machte es auch nicht. Aber Nica war ganz sicher, dass sich hinter dem freundlichen
basa-basi
-Gesicht ein Geheimnis versteckte.
Am nächsten Tag fuhren sie zur Schule. Aber auch dort wusste man nicht genau, wo Riani und Kali geblieben waren. Immerhin erzählte ihnen die Direktorin, dass Rianis Vater die beiden vor drei Monaten abgemeldet hatte, weil sie ins Ausland gehen wollten.
»Ins Ausland? Aber wohin denn?«
Die Direktorin zuckte die Schultern. »Genaues weiß ich auch nicht. Viele Indonesier haben Verwandte im Ausland, vor allem in Holland. Immerhin war dies einmal eine holländische Kolonie, und nach 1953 sind viele Indonesier nach Holland ausgewandert. Rianis Vater hat von einer Cousine in Frankfurt erzählt, die in den 70ern als Krankenschwester nach Deutschland gegangen und dort mit einem Deutschen verheiratet ist.«
»Das stimmt!«, sagte Nica. »Davon hat Bapak mal erzählt. Aber er hat nie vorgehabt auszuwandern.«
»Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig. Nach dem Tsunami 2004 sind viele Menschen von hier weggegangen. Die Angst hat sie vertrieben. Es war nicht die erste Welle, die den Norden Sumatras traf, und es wird nicht die letzte sein. Damit kann nicht jeder leben. Soweit ich weiß, hatte Rianis Vater große Schwierigkeiten, eine Arbeit zu finden.«
»Haben Sie eine Adresse? In Frankfurt?«
Die Direktorin schüttelte bedauernd den Kopf.
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