Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
Mörder gekannt und ihm arglos den Rücken zugewendet.
»Das ist der Mann, den Ihr ebenfalls herzitieren wolltet?«, fragte Lorenzo de’ Medici.
»Ja.«
»Mein medicus hat ihn bereits untersucht. Er ist seit gestern Abend tot. Was hat er mit der Sache zu tun?«
»Er hat mich mehrmals verfolgt.«
»Wie, verfolgt. Hat er Euch gejagt?«
»Nein, er hat meine Schritte beobachtet und ist mir nachgeschlichen. Ich konnte ihn jedes Mal abhängen, doch er versuchte es stets aufs Neue.«
»Er war ein arbeitsloser Steinmetz aus San Frediano, dem Arbeiterviertel drüben in Oltr’ Arno.«
»Ich weiß.«
»Wisst Ihr auch, was ihn veranlasst hat, Euch zu beobachten?«
»Ich nehme an, er wurde dazu beauftragt.«
»Von wem?«
»Ich würde gerne mit Stepan Tredittore sprechen, bevor ich Euch meine Gedanken klarlege.«
»Ihr seid Euch ziemlich sicher, dass meine Geduld so lange dauert, wie Ihr braucht, um Euren Knoten zu entwirren«, sagte Lorenzo, und es war die erste Warnung, seine Großmut nicht zu strapazieren. »Es ist Euch doch klar, dass ich dieses Spiel nur wegen eines einzigen Menschen mitmache.«
»Ich habe Tage gebraucht, um alles zu verstehen«, murmelte ich. »Es ist nicht so einfach, eine Beweisführung aufzubauen, wenn die Zeugen alle so störrisch sind wie Antonio Pratini.«
»Welchen Widerstand erwartet Ihr denn von diesem Stepan Tredittore?«
»Etwas weniger. Er hat seine große persönliche Niederlage bereits hinter sich. Er dürfte über nicht mehr viel Starrsinn verfügen.«
»Dann gehen wir wieder hinauf in die Kapelle. Er ist schon lange dort und wartet auf Euch.«
»Ihr habt ihn zu Jana in die Kapelle gebracht und dann eine Weile dort allein gelassen?«
»Pratini ist doch oben, außerdem eine meiner Wachen. Es konnte nichts passieren, wenn Euch das Sorgen macht.«
»Nein, im Gegenteil: Wenn die Mauern seiner Sturheit vorher zu bröckeln begannen, dann habt Ihr sie damit sturmreif geschossen. Ein kluger Zug, Ser Lorenzo.«
Er zuckte verwirrt mit den Schultern, aber dann nickte er dem Mann mit der Fackel zu, das Laken wieder über den Toten zu breiten, und ließ mir mit seiner nie nachlassenden Höflichkeit den Vortritt auf der Treppe.
Stepan Tredittore stand gleich hinter der Tür wie der sprichwörtliche Sünder, der nicht die Schwelle der Kirche übertreten kann. Bei unserer Ankunft fuhr er herum. Er bemerkte zuerst mich, und über sein Gesicht zuckte das Mienenspiel eines Mannes, der zum Richtplatz geführt worden ist und jetzt mit letzter Hoffnung bemerkt, dass er den Henker persönlich kennt. Dann sah er Lorenzo de’ Medici hinter mir die Treppe heraufkommen, und sein Gesichtsausdruck verwandelte sich in Bestürzung. Ich nickte Jana zu, die Tredittore argwöhnisch beobachtete, und Pratini, der verdrossen dasaß und es vorzog, weder mir noch Lorenzo einen Blick zu gönnen. Dann packte ich Tredittore am Arm und stieß ihn grob in die Kapelle hinein.
»Rasch«, sagte ich. »Erzählt es uns.«
»Was meint Ihr?«, keuchte er und versuchte, sich nicht zu ducken. »Ihr wisst, was ich meine.«
Er sah sich um. Lorenzo de’ Medici war in der Tür stehen geblieben und betrachtete ihn mit verschränkten Armen. Janas Blicken wich Tredittore aus, und Pratini hatte nur kurz den Kopf gehoben, als ich ihn gepackt hatte. Seine Augen irrten wieder zurück zu mir.
»Warum?«, rief er plötzlich. »Warum soll ich es noch mal erzählen? Ihr habt es doch schon sicher lang und breit ausgewalzt!« Er ballte die Fäuste und fuchtelte damit in der Luft herum, und seine Stimme wurde immer lauter. Die Angst, die ihn seit gestern niedergedrückt hatte, fand ein Ventil. Er begann zu schreien. »Habt Ihr ihr nicht erzählt, dass ich ihr Geld genommen habe, um mich dem feinen Kardinal anzudienen? Was hat sie gesagt? Das Geld ist weg, und niemand hatte was davon außer diesem Kuttenträger! Was wollt Ihr denn noch – dass ich mich vor ihr auf den Boden werfe, möglichst noch vor Zeugen? Was wird Lorenzo der Prächtige davon halten, he? Glaubt Ihr, ich habe nicht genug für meine Dummheit gebüßt? Was denkt Ihr, wie schön es ist, sich in einer Kirche zu verstecken, wenn draußen die Soldaten mit einem Haftbefehl herumlaufen, und mit jeder Türöffnung erwartet man sein letztes Stündlein.« Er tat einen tiefen Atemzug und riss sich zitternd zusammen, um nicht vollends hysterisch zu werden. Seine Brust hob sich wie unter einem unterdrückten Schluchzen.
»Herr Tredittore«, sagte Jana mit erzwungener Ruhe,
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