Duell auf offener Straße
Andere Besitzer wünschen sich, dass ihr Hund im Freilauf mal an den „Richtigen“ gerät und dieser ihn in seine Schranken weist. Einerseits beschreiben solche Aussagen die unverhohlene Hoffnung, dass der Hund sein unerwünschtes Verhalten mit einer unangenehmen Erfahrung verknüpft. Andererseits verrät es auch, dass der Mensch sich eine Fremdeinwirkung wünscht und nicht selbst daran beteiligt sein möchte. Das klingt erst einmal schräg, aber dieses Phänomen ist nicht ungewöhnlich und man findet es in vielen gesellschaftlichen Bereichen wieder. Menschen setzen Bestrafung oft nur widerwillig ein. Der Soziologe Niklas Luhmann hat geschrieben: „Kommunikation ist ein permanentes Risiko.“ Menschen haben Angst, von ihrem sozialen Gegenüber abgelehnt zu werden, wenn sie klare Grenzen setzen. Die Sorge ist groß, dass der Hund einen aufgrund einer Unterbrechung nicht mehr mag oder sogar seinen kleinen Koffer packt und auszieht. Wenn diese Sorge unausgesprochen bleibt und Menschen von außen dazu genötigt werden, ihren Hund zu bestrafen, dann kann das zu dem schon beschriebenen Kreislauf von Wut und Schuld führen. Der Unwille zu bestrafen zeichnet Menschen zu-nächst aus. Und wenn ich mir so manche Arbeiten im unterbrechenden Bereich anschaue, dann ist die dahinterstehende Sorge auch berechtigt. Wenn Hunde nur lernen, dass sie Ärger kriegen, wenn sie sich aus unserer Sicht falsch verhalten, und sie keine Chance bekommen, den Ärger zu vermeiden und ein anderes Verhalten zu zeigen, dann ziehen sie zwar nicht aus, aber sie finden auch niemals in eine Sicherheit.
Verfügbarkeit alternativer Verhaltensweisen
„Was nützt es mir zu wissen, was falsch ist, wenn ich nicht weiß, was richtig ist.“
Damit eine Bestrafung sowohl nachhaltig wirksam ist und auch Fairness dem Hund gegenüber beinhaltet, ist es wichtig für den Hund, über alternative Verhaltensweisen zu verfügen. Das klingt einfach. Viele Hundetrainer schlagen als Alternativverhalten Kommandos wie „Sitz“ und „Platz“ vor. Gute Idee, aber häufig trifft es nicht den Kern. Manche Hunde sind durchaus in der Lage, sich aus einer sitzenden oder liegenden Position heraus weiterhin aggressiv zu verhalten. Der Hund wird dadurch lediglich körperlich zur Ruhe gebracht, seine Stimmung bleibt jedoch erhalten. Es ist natürlich leichter, Befehle auszusprechen, als die Stimmung des Hundes zu verändern, denn hierzu bräuchte der Mensch eine große soziale Einflussnahme. Diese ist in der Regel nicht gleich gegeben und sie hat auch nichts mit Lernpsychologie zu tun, deshalb mehr dazu in den nächsten Kapiteln. Zurück zum Lernverhalten: Nach Möglichkeit sollte das Alternativverhalten unvereinbar sein mit dem unerwünschten Verhalten.
Das Unterbrechen von aggressivem Verhalten ermöglicht es Hunden, eine neue Verhaltensidee zu entwickeln, die vom Menschen gefördert werden sollte.
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Auf der gleichnamigen DVD zu diesem Buch wird die Arbeit mit drei verschiedenen Hunden gezeigt. Eines unserer Fallbeispiele war Jeanny, eine kleine Malteserhündin. Jeanny hat sich Hunden gegenüber sehr unsicher verhalten und bis zum Beginn des Trainings alle Hunde aggressiv von sich ferngehalten, indem sie bellte und auch schnappte. Erst nachdem ihr aggressives Verhalten unterbrochen wurde, hat sie den zarten Versuch einer sozialen Kontaktaufnahme unternommen. Sie hat tatsächlich das erste Mal in ihrem Leben einen anderen Hund beschnuppert. Dieses neue Verhalten war eine wichtige Lernerfahrung für Jeanny und gleichzeitig eine echte Alternative. Die freundliche Begrüßung eines anderen Hundes ist unvereinbar mit Aggression. In diesem Fall war es wichtig, ihr die Begrüßung des anderen Hundes an der Leine zu erlauben und sie in ihrem neuen Verhalten zu bestärken. Bei einem anderen Fall wäre diese Alternative vielleicht ungünstig gewesen. Wenn es Hunde zum Beispiel schlecht aushalten können, nicht zum anderen Hund zu dürfen, weil sie an der Leine sind, und sie daraufhin aggressiv in Hundebegegnungen werden, dann wäre es die falsche Alternative. Hier wäre es sinnvoller, den Hunden Ruhe zu vermitteln und diese zu belohnen, bevor man wieder in den Konflikt geht. Bei wieder anderen Hunden gibt es alternativ nur Varianten, die mit dem Menschen zu tun haben. Zum Beispiel können sie, statt sich aggressiv zu verhalten, ihrem Menschen gegenüber freundlich-demütiges Verhalten zeigen. So etwas müsste bei dem Thema Orientierung am Menschen an der Leine
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