Duell auf offener Straße
berücksichtigt und gefördert werden.
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Aber auch das Suchen von Futter oder das Apportieren von Gegenständen können Alternativen sein, auch wenn leider hierbei die sozialen Aspekte nicht im Vordergrund stehen. Die Verstärkung von Alternativverhalten darf an dieser Stelle jedoch nicht mit der Ablenkung eines Hundes verwechselt werden. Bei der Ablenkung wird unerwünschtes Verhalten nicht unterbunden und danach eine Alternative bestärkt, sondern es ist der Versuch, dass der Hund das Verhalten aufgrund der Ablenkung gar nicht erst zeigt. Dies ist auch eine Möglichkeit, allerdings mit einer anderen Zielsetzung. Alternativverhalten ist in diesem Fall das Angebot nach einer Bestrafung, denn wenn Hunde keine neuen Lösungswege haben, müssen sie immer wieder auf ihr altes Verhalten zurückgreifen.
Lerntheoretiker sind Schweine
Wenn man in wissenschaftlichen Büchern über Lernverhalten liest und zum Thema Bestrafung kommt, trifft man immer wieder auf einen Satz: Hit hard and early. Wenn ich dieses Motto lese, sehe ich es direkt auf einem schwarzen Schild geschrieben über einem SM-Club prangen. Doch sind Lerntheoretiker wirklich Sadisten? Das weiß ich nicht, aber der Satz ist ein Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen. Je früher die Bestrafung kommt und je stärker sie ist, desto größer ist die Chance, dass das Verhalten nicht mehr gezeigt wird. Hunde und Menschen können sich an langsam gesteigerte Bestrafung gewöhnen. Am Ende reicht selbst eine hohe Intensität nicht mehr aus, weil sie ausreichend Zeit hatten, die Bestrafung ertragen zu lernen und sich durch die Steigerung des eigenen Verhaltens darüber hinwegzusetzen. So kann man sich sukzessive an Kälte, Wärme, Schmerzen, Schreck oder auch Unbehagen gewöhnen.
Diese Grundregel angewandt hieße, dass wenn Sie nicht wollen, dass Ihr Hund jagt, dann sollten Sie ihn beim ersten Interesse an Wild bereits im Welpenalter in hoher Intensität bestrafen. Klingt eigentlich logisch. Aber niemand würde dies tun – zum Glück. Was uns aufhält, ist nicht die Wissenschaft, sondern unsere Liebe zu den Hunden und die Fairness ihnen gegenüber. Wir versuchen, eine Bestrafung angemessen zu formulieren. Doch was ist eigentlich angemessen? Als Grundlage für diese Entscheidung könnte man die Qualität des Vergehens nehmen. Schließlich ist es für uns ein Unterschied, ob ein Hund einen Mülleimer ausräumt oder ein Kind bedroht. Lerntheoretisch wäre die Unterscheidung Blödsinn, emotional nicht. Schwierig wird es immer dann, wenn unerwünschtes Verhalten einer Entwicklung unterliegt, denn diese sind schwer einzuschätzen. Aggressives Verhalten an der Leine entsteht meist schleichend und steigert sich nach und nach. Wenn manche Menschen gewusst hätten, was später dabei herauskommt, hätten sie das Verhalten wahrscheinlich bereits im Ansatz unterbrochen. Neben der Lerntheorie ist die Intensität abhängig von den sozialen Strukturen zwischen Mensch und Hund. Wer für den Hund wichtig ist, muss weniger tun, um gehört zu werden.
Jetzt geht’s los – Bestrafung als Auslöser für Aggression
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Zwei erwachsene Rüden umkreisen sich mit imponierender Körperhaltung, stocksteif und alle Blicke auf sich ziehend. Die Luft ist zum Zerreißen gespannt, und dann verliert einer die Nerven. Nein, nicht einer der Hunde, sondern einer der Besitzer. Ein Surren ist in der Luft zu hören, und dann trifft die fliegende Leine einen der Hunde an dessen Hüfte. Was dann geschieht, verläuft konträr zu der Zielsetzung des Werfers. Die Hunde prügeln sich. Auslöser dafür war der als Unterbrechung gedachte Leinenwurf. Wie kann das sein? Zunächst wäre hier das Timing aufzuführen: Die Unterbrechung kam eindeutig zu spät. Der von der Leine getroffene Hund wird mit einer minimalen unkontrollierten Bewegung reagiert haben, die Angespanntheit der Situation lässt aber keine unkontrollierten Bewegungen zu, und so hat der andere Hund dies zum Auslöser genommen, um den bereits bestehenden Konflikt eskalieren zu lassen. Zudem gab es für den unterbrochenen Hund keine Alternativmöglichkeiten. Wo sollte er nach der Bestrafung hin? Die Distanz zum anderen Hund war zu gering, als dass ein Rückzug nach dem Treffer möglich gewesen wäre. Hinzu kommt die Aufmerksamkeit, die alle umstehenden Personen auf die Hunde richten. Eine Einmischung kann in diesem Fall von den Hunden als weitere Anteilnahme gewertet werden. Manche sagen, dass der Hund vielleicht dachte, dass es
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