Duell auf offener Straße
Gründen wichtig und sie lassen sich nicht so schnell davon abbringen. Wie weit geht man nun in der positiven Verstärkung, um keine Grenzen im bestrafenden Bereich zu setzen? Ist es fair, dem Hund sämtliche Aufmerksamkeit und Futterrationen über einen Großteil des Tages zu entziehen, damit man in Hundebegegnungen damit belohnen kann? Muss man seinen Hund aushungern, damit die Methode klappt? Es gibt Arbeiten in diesem Bereich, die in ihrer Extremität und in ihrem Missbrauch eine Form von psychischer Gewalt durch soziale Kälte darstellen: „Ich liebe dich nur, wenn du lieb bist!?“
Negative Verstärkung – Ein Verhalten soll häufiger auftreten
Nicht nur der Erhalt von etwas Angenehmem kann ein Verhalten verstärken, sondern auch die Möglichkeit, etwas Unangenehmes loszuwerden. Wenn ein Welpe von seinen Geschwistern entfernt eingeschlafen ist, frierend und einsam er-wacht, sucht er die Nähe zu seinen Wurfgeschwistern auf, legt sich zu ihnen und ihm wird warm. Wenn ihm das nächste Mal kalt wird oder er sich allein fühlt, wird er sich wieder an seine Geschwister kuscheln. Das Abstellen der Kälte und der sozialen Isolation dient dabei als Verstärker. Was nutzt mir dieses Wissen in Bezug auf das Problem an der Leine?
Negative Verstärkung in Bezug auf das Problem
Die negative Verstärkung erklärt zum Beispiel, wie manche unsichere und vor allem ängstliche Hunde aggressives Verhalten lernen. Die direkte Nähe von anderen Hunden löst bei ihnen Unbehagen aus. Indem sie kurz nach vorn preschen und sich dann wieder zurückziehen, bringen sie andere Hunde auf Distanz und ihr Unbehagen verschwindet. Auch frustrierte Hunde lernen ähnlich; sie befinden sich aufgrund ihrer Frustration in einem unangenehmen Erregungszustand. Durch das aggressive Verhalten können sie ihrem Ärger Luft machen und finden dadurch in einen physiologischen Normalzustand zurück.
Negative Verstärkung in Bezug auf die Konfliktlösung
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Im Hundetraining wird eine Leinenaggression heutzutage nur selten durch eine negative Verstärkung verändert. Es hieße nämlich, dass man den Hund zunächst anhaltend in eine unangenehme Situation bringen müsste, um etwas Un-angenehmes wegnehmen zu können. Früher wurde diese Art häufig eingesetzt. Ein typisches Beispiel dafür ist das „Aufhängen“ des Hundes. Wenn sich der Hund aggressiv an der Leine verhielt, wurde er an kurzer Leine hochgezogen, bis er nur noch auf zwei Beinen stand, und dort gehalten. Erst wenn er sich erwünscht verhielt, wurde ihm der Stand auf allen vier Beinen und die uneingeschränkte Luftzufuhr wieder ermöglicht. Damit diese Methode funktionieren kann, müsste man den aus meiner Sicht ethisch vertretbaren Bereich des Hundetrainings verlassen und sie kann damit keinen Trainingstipp darstellen.
Man könnte dieses Prinzip aber auf eine mildere Situation übertragen: Man bindet den Hund an einen Pfahl und steht selbst einige Meter vom Hund entfernt. Diese Entfernung muss der Hund als unangenehm empfinden. Nun lässt man einen anderen Hund kommen und stellt diesen dem eigenen Hund gegenüber. Wenn sich der eigene Hund ruhig verhält, vermindert man die unangenehme Distanz und nähert sich ihm. Beginnt er wieder zu bellen, entfernt man sich. (Das wäre allerdings schon eine negative Bestrafung.) Verhält er sich wieder freundlich, nimmt man das Unangenehme wieder weg.
Aggression dient der Distanzvergrößerung und kann als Strategie gelernt werden.
Einschränkungen und Gegenspieler der negativen Verstärkung
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Nicht alles, was funktioniert, ist auch erlaubt. Nicht alles, was erlaubt ist, funktioniert auch. Diese zwei Sätze gelten natürlich für alle vier Varianten der Operanten Konditionierung. In der negativen Verstärkung werden sie jedoch sehr deutlich. Damit es wirklich funktioniert und nicht ewig dauert, müsste der Hund in eine sehr unangenehme Situation gebracht werden. Das geht für uns als Menschen aus emotionalen Gründen nicht. Wenn man hingegen die zweite Beschreibung ansieht, fragt man sich, wie lange das wohl dauern wird und woher man immer rechtzeitig einen Baum oder Pfahl bekommt. Und in diesem Beispiel war bereits eine negative Bestrafung eingebaut. Die negative Verstärkung ist in ihrer milden Form ein toller Mitspieler und wir werden sie an späterer Stelle wiedersehen. Aber allein mit ihr lässt sich nur schwer eine sinnvolle Lernsituation gestalten. Die grundsätzliche Schwierigkeit, Verstärkung im
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