Dünengrab
anders.«
»Und wo?«, fragte Ceylan wütend.
Tjark spielte mit dem Autoschlüssel in der Hosentasche. »Ich denke, ich werde es herausfinden.«
»Das kannst du nicht tun«, protestierte Femke.
»In mir ist zu viel Zorn und zu viel Enttäuschung. Wenn das anders wäre, hätten wir Vikki vielleicht eher gefunden. Und damit so etwas nicht wieder passiert, muss ich mich selbst finden.«
Tjark zog den Autoschlüssel aus der Hosentasche.
»Rede doch nicht so einen Müll«, sagte Fred und verschränkte die Arme vor der Brust. »Tjark Wolf auf dem Selbstfindungstrip, dass ich nicht lache.«
Tjark ging ein paar Schritte auf sein Auto zu.
Fred schüttelte den Kopf. »Ertrink bloß nicht im Selbstmitleid.«
»Ich habe gelernt«, Tjark entriegelte die Autotür mit der Fernbedienung, »mich über Wasser zu halten.« Er öffnete die Tür, drehte sich um und sagte leicht pathetisch: »Und nun werden mein Board und ich eins sein und auf den ewigen Winden reiten – und niemand wird mehr mein Herr sein.«
»Was war das denn?«, fragte Ceylan mit erstickter Stimme. Sie fing wieder an zu weinen.
»Silver Surfer«, erklärte Fred. »Er zitiert den andauernd.«
Tjark lächelte. »Aber diesmal passt das Zitat ganz gut, nicht?«
»Du und deine Comics.« Ceylans Zeigefinger verschwand unter dem Rand ihrer Sonnenbrille.
»Danke, dass ihr da wart«, sagte Tjark und hob die Hand. »Ich weiß das zu schätzen.« Er stieg ein.
»Tjark?«
Er hielt inne. Femke stand neben ihm.
»Ich schulde dir was. Ich werde dich zurück ins Boot holen.«
»Das hast du vor ein paar Tagen bereits getan.« Er lachte etwas.
Femke lachte nicht. »Wenn es an der Zeit ist, werde ich dich finden.«
Tjark wollte erst sagen, dass sie sich keine Mühe geben sollte. Aber er verstand, dass sie es ernst meinte und sich nicht daran hindern lassen würde. Dann stieg er ein, ließ den Wagen an und fuhr vom Parkplatz. Irgendwann, dachte er, würde er mal die Einschusslöcher flicken lassen müssen. Aber das hatte Zeit.
89
An anderer Stelle, etwa achtzig Kilometer Luftlinie entfernt nahe der Küste, erfüllte ein leises Rauschen das kleine Zimmer auf der Intensivstation im Klinikum in Aurich. Das Fenster stand offen. Die laue Brise sorgte dafür, dass die Kabel und Schläuche sich leicht bewegten, die überall an Vikkis Körper befestigt waren.
Der Drucker sprang mit einem Piepston an. Leise kratzte der Tintenstrahler zackige Linien und Wellen auf das Endlospapier. Herzschlagsignale, Hirnströme, Blutdruck … Sie waren stärker ausgeprägt als zuvor.
Mit einem tiefen Atemzug bäumte sich Vikki auf. War ihr Wecker angesprungen? Natürlich, ihr Wecker hatte gepiept. Aber warum? Wie konnte das sein? Ihr Körper war schließlich an die Boje gebunden, und … O Gott, sie musste sich weiter über Wasser halten und atmen. Sie musste … Was war das für ein grelles Licht? Suchten sie nach ihr? Waren das Scheinwerfer?
Vikki öffnete die Augen und schloss sie direkt wieder. Alles um sie herum war weiß. Dann wagte sie ein erneutes Blinzeln. Schließlich ging es besser. Eine Weile sah sie an die Decke. Dann blickte sie an sich herab. Es dauerte etwas, bis sie verstand, wo sie war und dass sie lebte. Vorsichtig drehte sie den Kopf zur Seite und sah zum Fenster. Sie spürte den leichten Wind auf der Haut. Sie fühlte die Wärme im Gesicht. Es war die Sonne, dachte Vikki. Es war endlich die Sonne.
Nachwort und Danksagung
Werlesiel gibt es nicht. Mancher, der die Küste gut kennt, findet aber vielleicht das eine oder andere Bekannte wieder. Vieles im Umfeld des Ortes habe ich mir ebenfalls ausgedacht – und natürlich ist »Dünengrab« eine fiktive Geschichte, die Personen und Geschehnisse ebenfalls.
Ich hatte eine Menge Hilfe in einigen Fachfragen, allen voran vom Rechtsmedizinischen Institut der Uni in Münster. Ich bin sehr oft und sehr gerne an der Nordsee, vor allem auf den Ostfriesischen Inseln. Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger macht dort Saison für Saison einen Mordsjob – und an sich würde sie (oder die Feuerwehr) bestimmt in Werlesiel ein Rettungsboot vorhalten, wenn es Werlesiel denn gäbe. Wo ich also ein wenig frei agiert oder Dinge nicht ganz korrekt wiedergegeben haben sollte – das geht alles auf meine Kappe.
An dieser Stelle vielen Dank an das Droemer-Knaur-Team und besonders an meine Agentin Natalja Schmidt von Schmidt & Abrahams sowie an meine Lektorinnen Andrea Hartmann und Regine Weisbrod für die tolle
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