Duenenmord
vorkommen. Wir sind seit sechzehn Jahren verheiratet, da haben sich die rosaroten Wolken natürlich längst verflüchtigt, aber die Partnerschaft hat sich bewährt …« Er brach ab.
Romy fasste Lotte ins Auge. »Und Sie? Wie haben Sie sich mit Ihrer Stiefmutter verstanden?«
»Ich nehme an, Sie erwarten eine ehrliche Antwort.«
»Das wäre klasse. Mit Schönfärberei kommen wir nicht weiter.«
»Mittelmäßig gut«, entgegnete Lotte nach kurzem Überlegen. »Als die beiden heirateten, war ich sechs Jahre alt. Ich habe meine Mutter vermisst, die zwei Jahre zuvor gestorben war, und wollte nicht, dass eine andere Frau diesen Platz einnimmt. Das ist eine normale Reaktion, oder?«
»Aber mit der Zeit sind wir als Familie zusammengewachsen«, ergänzte Michael Sänger rasch. »Es braucht halt alles seine Zeit.« Er wischte sich über die Stirn. »Frau Kommissarin, ich verstehe, dass Sie Nachforschungen anstellen und Ihre Arbeit machen müssen, aber ich bin ziemlich …«
»Ich weiß«, beeilte Romy sich zu versichern. »Nur noch ein paar Kleinigkeiten, dann lasse ich Sie in Ruhe.« Fürs Erste, schob sie in Gedanken nach. »Besaß Monika ein eigenes Arbeitszimmer und einen Computer?«
»Wir haben uns einen Raum und auch einen PC geteilt.«
»Dürfte ich mal einen Blick in das Zimmer werfen?«
Sänger erhob sich und ging voran in einen vom Wohnzimmer abzweigenden Flur, der in einem geräumigen Arbeitszimmer mündete. In der Mitte waren zwei Schreibtischelängsseitig zusammengestellt, so dass die Sängers einander zugewandt hatten arbeiten können. Der Computer thronte samt Drucker auf einem Rolltisch, der vor ein hohes Bücherregal geschoben war.
»Wir müssen uns den E-Mail-Verkehr Ihrer Frau ansehen«, erklärte Romy, während ihr Blick durch den Raum schweifte und für Momente an einer Fotowand mit Urlaubsbildern hängenblieb – die Sängers beim Camping, auf dem Segelboot, am Strand, beim Wandern. Stets hielt Lotte die Hand ihres Vaters oder lehnte sich mit verschmitztem Lächeln an ihn. Mit halbem Ohr bekam sie mit, dass die junge Frau die Teetassen abräumte.
»Warum ist das nötig?«, fragte Sänger.
Bei Mord will ich alles über das Opfer wissen, bei so einem Mord erst recht, dachte Romy, aber sie behielt die Antwort für sich. »Ihre Frau hat eine SMS erhalten, die uns zu denken gibt«, erläuterte sie stattdessen.
»Was für eine SMS?«
Romy schüttelte den Kopf. »Dazu kann ich noch nichts sagen«, wich sie aus. »Fest steht, dass wir nach Übereinstimmungen suchen müssen.«
»Aber ich brauche den PC für meine Arbeit, und außerdem hat meine Frau Mails auch in der Kita abgerufen«, gab Sänger ungehalten zurück.
»Darüber sind wir im Bilde – dennoch: Die Kriminaltechnik muss die Festplatte untersuchen«, beharrte Romy. »Darf ich Sie bitten, ihn mir gleich mitzugeben? Ich werde mich dafür einsetzen, dass Sie Ihren Rechner so schnell wie möglich zurückbekommen.«
Sänger schloss kurz die Augen, bevor er sich mit einer abrupten Bewegung zum Rolltisch umwandte, den Netzstecker zog und den Computer auf einem der Schreibtische abstellte. Er drehte sich zu ihr um. »Apropos PC – haben Sie eigentlich Monikas Netbook gefunden?«
Romy hob die Brauen. »Sie hatte ein Netbook?«
»Sie hat es sich im Herbst zugelegt, weil sie für ihre Prora-Recherchen doch eine Menge zu notieren hat … hatte.«
Romy spürte auf einmal, dass Lotte hinter ihr stand. »Und sie hatte es gestern dabei?« Der Atem der jungen Frau streifte ihren Nacken. Romy trat zwei Schritte zur Seite.
»Ich bin ziemlich sicher.« Der Witwer wandte sich um und öffnete eine Schreibtischschublade. »Ja, ihr Notizheft ist hier. Eines von beiden hatte sie immer dabei – in letzter Zeit in der Regel das Netbook. Sie konnte ganz flott tippen.«
Romy streckte die Hand aus. »Würden Sie mir das Heft bitte auch überlassen?«
»Wofür brauchen Sie das denn?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht entdecken wir einen Anhaltspunkt, vielleicht auch nicht. Das wird sich zeigen.«
Sänger wirkte nicht überzeugt, aber er reichte ihr das schmale Heft. »Na schön. Brauchen Sie noch mehr Unterlagen?«
»Es würde unsere Ermittlungen erheblich erleichtern und beschleunigen, wenn Sie uns die Kontaktdaten von Freunden und Verwandten sowie Unterlagen zum beruflichen Werdegang Ihrer Frau zur Verfügung stellen könnten«, ergriff Romy sofort die Gelegenheit beim Schopf, zügig und aus erster Hand an Informationen zu gelangen.
Michael Sänger
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