Duenenmord
beschäftigen. Außerdem möchte ich, dass du die Vernehmung von Dieter Keil leitest. Ich glaube, mir fehlt der nötige Background, um die richtigen Fragen zu stellen.«
Dazu sagte Kasper nichts.
4
Monikas Eltern wohnten in Greifswald. Die beiden waren gut über achtzig Jahre alt, und Romy hielt es für keine gute Idee, ihnen ohne Vorankündigung einen Besuch abzustatten, um über ihre toten Kinder zu sprechen. Als auch bei ihrem dritten Versuch innerhalb einer Stunde niemand ans Telefon ging, wurde sie allerdings unruhig. Noch einmal lasse ich durchklingeln, dachte sie, wenn sich dann niemand meldet, schicke ich die Kollegen vorbei …
»Arnolt?« Die Stimme war leise und dunkel, eine Männerstimme. Eine alte Männerstimme.
»Guten Abend, Herr Arnolt, mein Name ist Ramona Beccare, ich bin die leitende Ermittlerin des Kriminalkommissariats in Bergen auf Rügen«, stellte Romy sich vor. »Es geht um Ihre Tochter …«
»Was wollen Sie?«
Romy stöhnte innerlich auf. »Wir ermitteln …«
»Monika ist tot.«
»Ihre Tochter ist einem Verbrechen zum Opfer gefallen – wir müssen ermitteln.«
»Tun Sie das, aber lassen Sie uns in Ruhe.«
»Herr Arnolt …«
»Hören Sie, Frau Kommissarin – meine Frau und ich begraben das zweite unserer beiden Kinder. Das ist kaum zu begreifen, wie Sie sich vielleicht denken können. Wir sind nicht in der Lage, zu reden, Fragen zu beantworten oder was auch immer Sie von uns wollen. Respektieren Sie das!«
Damit legte er auf, und Romy konnte ihn sogar verstehen. Dennoch musste sie in den nächsten Tagen erneut versuchen, mit den Eltern ins Gespräch zu kommen.
Wenig später sagte Kasper Bescheid, dass Dieter Keil eingetroffen sei. »Kommst du gleich mit rüber in den Vernehmungsraum?«
Keil war Anfang fünfzig. Normalerweise dürfte er als sportlich agiler und gutaussehender Typ durchgehen – er trug Jeans und Rollkragenpullover, das dunkelblonde Haar war modisch kurz geschnitten, und die feinen Lachfältchen verliehen seinem Gesicht eine markante Note. Die Nachricht vom Mord an Monika Sänger hatte ihn allerdings schwer getroffen. Er war blass und hatte dunkle Augenringe. Romy begrüßte ihn freundlich, setzte sich neben Kasper und überließ dem Kollegen die Regie.
Keil musterte sie einen Moment, dann sah er Kasper an. »Tut mir leid, dass es so spät geworden ist. Ich musste mich erst mal in den Griff bekommen«, erklärte er.
»Kein Problem. Nun sind Sie ja hier.« Kasper setzte das Aufnahmegerät in Gang. »Damit wir nicht alles mitschreiben müssen«, begründete er und fragte zunächst die wesentlichen Personendaten ab. Dass Keil sehr wahrscheinlich der Letzte gewesen war, der Monika, abgesehen von ihrem Mörder, lebend gesehen hatte, und seiner Aussage allein deswegen eine besondere Bedeutung zukam, ließ er unerwähnt.
Dieter Keil lebte in Lancken-Granitz, fünf Kilometer südlich von Binz, er war geschieden und Vater eines erwachsenen Sohnes. Als Sozialarbeiter im Jugendbereich hatte er bereits in Stralsund, Sassnitz und Bergen gearbeitet, bevor er in das Jugendherbergsprojekt eingestiegen war und dort nun, parallel zu seinem Engagement im Dokumentationszentrum der Prora, als hauptamtlicher Betreuer tätig war. Monika Sänger hatte er vor gut einem Jahr bei einer Sitzung kennengelernt. »Wir sind ins Gespräch gekommen, und es stellte sich schnell heraus, dass ihr Interesse an der Prora auch ein persönliches ist«, erläuterte er in ruhigem Ton.
»Sie spielen auf ihren Bruder an?«, fragte Kasper.
»Ja, natürlich.« Keil stützte das Kinn auf seine Hand. »Wissen Sie, es ist so furchtbar bezeichnend – in Monikas Familie wollte über Jahrzehnte niemand darüber reden, unter welchen Umständen der Junge umgekommen ist, und hier, in der Prora, ist das Thema Bausoldaten auch nicht gerade angesagt.«
Kasper lehnte sich zurück und deutete ein aufforderndes Nicken an.
»Die Anlage wird stets vollmundig als KdF-Bau bezeichnet, um daraus ableitend den Größenwahn und Irrsinn der Nazis zu betonen«, fuhr Keil fort. »Das ist aber nur ein Aspekt, und es ist der Arbeit des ersten Prora-Vereins zu verdanken, dass das Schicksal der Spatensoldaten daneben nicht völlig in den Hintergrund gedrängt, sondern ebenfalls dokumentiert und aufgearbeitet wird.« Er lächelte unfroh. »Die Nazis haben den Klotz zwischen 1936 und 1939 geplant und gebaut, ohne dass er je vollendet wurde oder in ihrem Sinne zum Einsatz kam – aber wer hat zumindest Teile davon seitdem
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