Duenenmord
Kopf. »Und kein schöner Anblick«, fügte er noch hinzu, während sie auf den abgesperrten Bereich zugingen, in dem Kriminaltechniker unter der Leitung von Marko Buhl Spuren sicherten und fotografierten.
Buhl kniete neben der toten Frau, die bereits in einen Leichensack gebettet worden war, und hob kurz den Kopf, als er Romy bemerkte. Er winkte sie heran, während er den Reißverschluss ungefähr bis Hüfthöhe herunterzog.
Bei ihrem ersten großen Fall auf Rügen im letzten Frühjahr, bei dem der ermordete Geschäftsmann Kai Richardt als Serientäter entlarvt werden konnte, hatte Romy einige Anlaufschwierigkeiten gehabt, bis sie mit dem hageren Cheftechniker und seiner unwirschen, manchmal zynischen Art klargekommen war. Um genau zu sein, hatte er sie mehrmals fast bis zur Weißglut getrieben. Aber zum einen war es nicht ganz so schwer, Romys südländisches Temperament zum Kochen zu bringen, auch wenn sie es in den letzten Jahren im hohen Norden zu zügeln gelernt hatte. Zum anderen hatte Kasper letztlich mit seiner unerschütterlichen Ansicht, dass Marko ein guter Mann in seinem Fach sei, unbedingt Rechtbehalten. Und umgekehrt dürfte Buhl inzwischen davon überzeugt sein, dass »die Italienerin« eine ganz passable Ermittlerin war, wenn auch ein bisschen hitzköpfig und ungeduldig.
Romy hatte normalerweise keine Berührungsängste, wenn es darum ging, eine Leiche in Augenschein zu nehmen. Sie konzentrierte sich stets auf den Fall und die Untersuchung der Besonderheiten, die diesen Menschen das Leben gekostet hatten – sie ließ das Grauen und Leiden, das dem Tod vorausgegangen war, emotional so wenig wie möglich an sich heran. Ohne die innere Distanzierung hätte sie ihren Job nicht machen können. Doch diese Leiche war durchaus etwas Besonderes.
»Sie hat mit dem Gesicht im Wasser gelegen«, erläuterte Buhl, während Romy den vereisten Oberkörper der toten Frau betrachtete und kurz den Atem anhielt, als ihr Blick das entstellte Antlitz erfasste. Stirn, Nase und Augenpartie wiesen großflächige Verletzungen auf, die umso schockierender wirkten, als sie von bizarr schönen Eiskristallen übersät waren. Der Unterkiefer war verzogen, das Jochbein des rechten Auges sah zertrümmert aus.
»Ein paar Grad weniger heute Nacht, und wir hätten sie aus dem Eis schlagen müssen.« Buhl blickte kurz hoch. »Dürfte bald soweit sein, schätze ich mal.«
Schaurige Vorstellung, eine Leiche der zugefrorenen Ostsee entreißen oder aus Schneebergen freischaufeln zu müssen, dachte Romy. »Sie ist also tot geprügelt worden«, stellte sie dann in leisem Ton fest.
»Im Augenblick schwer zu sagen«, entgegnete Buhl. »Fest steht, dass sie heftig geschlagen wurde, bis zur Bewusstlosigkeit, denke ich, wahrscheinlich auch getreten – das wird Möller später genauer sagen können, wenn er sie auf dem Tisch hat. Eine Tatwaffe haben wir bislang jedenfalls nicht gefunden. Die Verletzungen sind übel, und falls sie zu Schädelbruch und Hirntraumata geführt haben, dürften sie todesursächlichgewesen sein. Das ist aber im Moment rein hypothetisch, zumal sie im Wasser lag und unter Umständen ertrunken ist.«
Dr. Ulrich Möller war der zuständige Rechtsmediziner vom Greifswalder Institut, und wie Romy ihn kannte, würde er sich sehr schnell mit einer ersten Einschätzung melden.
»Weitere offenkundige Verletzungen am Körper?«
»Das nicht, aber ihre Hände sehen genauso scheußlich aus«, erläuterte der Techniker weiter und öffnete den Leichensack um ein weiteres Stück. »Da hat sich jemand ähnlich ausgetobt wie im Gesicht.«
»Hände und Gesicht«, murmelte Romy nachdenklich, während sie die malträtierten Finger der Frau begutachtete. »Vielleicht wollte der Täter ganz sichergehen und hat sie nach der Prügelattacke ins Wasser gezogen und liegengelassen, damit sie ertrinkt.«
»Gut möglich«, stimmte Buhl zu. »Es hat in der zweiten Nachthälfte zwar ein bisschen geschneit, aber wir haben trotzdem einige Schleifspuren sichern können, die ihre Stiefelabsätze hinterlassen haben dürften. Dort gibt es auch Blutspuren.« Er machte eine unbestimmte Handbewegung in Richtung Dünen. »Wir haben das natürlich dokumentiert. Kriegen Sie so schnell wie möglich auf den Schreibtisch.«
»Könnte es sein, dass sie bereits verletzt an den Strand gebracht wurde?«
»Die bisherige Spurenlage gibt das zwar nicht her, aber unter Umständen kann ich mehr dazu sagen, wenn wir uns ihren Wagen genauer angesehen haben«,
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