Duenenmord
absurderweise durch den Kopf. Sängers Schultern bebten, und er stöhnte auf wie ein verletztes Tier. So habe ich auch gestöhnt, dachte Romy. Bei Kilometer sechsunddreißig. Moritz war Marathonläufer gewesen und aus dem Nichts heraus tot zusammengebrochen. Das Bild seines auf dem Asphalt aufschlagenden Kopfes hatte sich für den Rest ihres Lebens in ihr eingebrannt, davon war sie überzeugt.
Kasper warf Romy einen fragenden Blick zu. Sie nickte. Monika Sänger war alles andere als aus dem Nichts herauszusammengebrochen und gestorben. Sie war brutal niedergeschlagen und ermordet worden – diesen Schluss ließen jedenfalls die bisherigen Ermittlungen zu.
»Herr Sänger, es mag herzlos wirken, aber wir müssen Ihnen einige Fragen stellen«, sagte Romy ruhig, aber bestimmt.
Er hob ruckartig den Kopf. »Warum?«
»Ihre Frau ist keines natürlichen Todes gestorben, und sie hatte auch keinen Unfall.«
»Wie? Wovon reden Sie? Und hören Sie auf, um den heißen Brei herumzureden!«
»Die Einzelheiten kennen wir noch nicht, aber …«
»Ich will wissen, was passiert ist!«, brüllte Sänger sie jäh an.
Romy zuckte mit keiner Wimper. »Die Einzelheiten kennen wir noch nicht«, wiederholte sie. »Aber sie ist am Strand von Göhren überfallen worden, soviel steht fest.«
Der Witwer schluckte und wischte sich über den Mund, bevor er sich wieder auf seinen Stuhl fallen ließ. »Verzeihen Sie, aber …«
Die Kommissarin winkte ab. »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Es wäre jedoch sehr hilfreich, wenn Sie uns einige Fragen beantworten würden, damit wir so schnell wie möglich mit den Ermittlungen beginnen können.«
Er schloss für einen Moment die Augen. »Ich werde mir Mühe geben. Sie ist überfallen worden, sagten Sie? Aber warum? Sie hatte nichts Besonderes bei sich, ich meine …« Er fasste Kasper ins Auge. »Oder hat man sie …?«
»Wir gehen nicht von einer Vergewaltigung oder einem Raubüberfall aus, Herr Sänger.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Es wurde nichts gestohlen. Jemand hatte es auf Ihre Frau abgesehen«, ergriff Romy wieder das Wort.
»Das ist nicht Ihr Ernst!«
»Doch. Die bisher festgestellten Umstände sprechen dafür,dass jemand Ihre Frau niedergeschlagen und so im Wasser abgelegt hat, dass sie ertrank.« Das war eine sehr geschönte Umschreibung, doch deutlichere Worte hielt sie zum jetzigen Zeitpunkt für völlig unangemessen.
Sänger sagte sekundenlang kein Wort. Sein Blick wanderte mehrfach zwischen Kasper und Romy hin und her. »Sie meinen, dass meine Frau das Opfer irgendeines irren Gewalttäters geworden ist?«
»Das ist vorstellbar. Haben Sie eine Ahnung, was sie gestern Abend in Göhren vorhatte?«
Der Witwer schüttelte den Kopf. »Nein, nicht die geringste. Wir haben dort weder Freunde noch Verwandte … Am Strand von Göhren, mitten im Winter? Es ist mir vollkommen schleierhaft, was sie da wollte.«
»Könnte sie verabredet gewesen sein?«, schob Romy behutsam nach.
»Ich weiß nichts von einer Verabredung am späteren Abend«, entgegnete Sänger ein wenig brüsk. »Sie hatte bis zum frühen Nachmittag in der Kita zu tun. Danach wollte sie nach Binz fahren, zu einer Besprechung in die Prora, die bis ungefähr acht Uhr dauern würde – so schätzte sie, als wir am Morgen darüber sprachen.«
Der Koloss von Rügen, fuhr es Romy durch den Kopf, Mahnmal und Schandmal zugleich – das kilometerlange Monstrum, mit dem die Nazis das »KdF-Seebad Rügen« hatten erschaffen wollen – Urlaub und Spaß für zwanzigtausend Menschen, gleichzeitig, versteht sich. Architekt war Clemens Klotz gewesen. Selten hatten Name und Programm so gut zusammengepasst. Wenn Romy es richtig in Erinnerung hatte, waren neben Rügen noch vier weitere KdF-Seebäder in Planung gewesen. Doch mit Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte sich die Idee mit dem Urlaub für die Massen erledigt, und der Prora-Bau blieb unvollendet. In den folgenden Jahrzehnten war er weitgehend militärisch genutztworden, manche Teile waren in stummer Anklage verfallen.
»Worum ging es bei der Besprechung?«, wollte Kasper wissen.
»Monika hat sich im Prora-Verein engagiert, ehrenamtlich. Es geht um die historische und politische Aufarbeitung der Anlage, und zwar nicht nur, was die Nazis betrifft.«
Kasper hob eine Braue. Er sah aus, als fiele ihm zu dem Thema eine ganze Menge ein, schätzte Romy. Im letzten Sommer hatte in der Prora die größte Jugendherberge Mecklenburg-Vorpommerns Eröffnung gefeiert,
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