Duenne Haut - Kriminalroman
ausländische Arbeitskraft pflegt teuren inländischen Patienten, der nicht mehr arbeitsfähig ist. Mitunter kommt zwar auch der Patient aus dem Ausland, aber zwischen Ausländer und Ausländer gibt es natürlich Unterschiede, abhängig von der Größe des Portemonnaies. Immerhin bedeuten Leute wie er, die nicht der deutschen Rentenversicherung auf die Tasche fallen, eine kleine zusätzliche Finanzspritze und werden entsprechend gern gesehen.
*
„Für den Einzelnen mag das vielleicht nicht sehr schön sein, aber irgendwie muss sich das System schließlich finanzieren.“
Der, der diese großen Worte gelassen ausspricht, als wolle er damit Hagens Gedanken kommentieren, ist kein Geringerer als DDr. Sachs, Chefarzt des
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und stolz darauf, trotz seiner leitenden Position noch immer
an der Basis
, also auch als behandelnder Arzt, tätig zu sein. Obwohl ihn eigentlich, wie er seinem Oberarzt gegenüber gerade unterstreicht, alleine die Administration des Zweihundertfünfzigbetten-Betriebs schon
zu hundert Prozent
in Beschlag nehme.
„Wie geht sich da überhaupt noch eine Therapie aus?“, will Dr. Selzer, gemartert vom ständigen Eigenlob seines Chefs, wissen. „Hundert und wie viel ist hundert?“
„Nun, auf dieses mathematische Spielchen möchte ich mich lieber nicht einlassen“, meint der Chefarzt mit einem entwaffnenden Lächeln. Einer wie er ist nicht so leicht festzunageln.
Sein Spitzname in der Kollegenschaft:
3 D
. Sachs ist sowohl Facharzt für Psychiatrie als auch für Psychosomatik, dennoch verzichtet er zumeist darauf, den doppelten Doktor vor seinem Namen anzuführen. Nennen Sie mich schlicht und einfach Dr. Sachs, lautet seine Aufforderung an jeden Neuen. Das dritte D stammt von seinem Vornamen, Dieter. Aber vor allem signalisiert 3 D, wie viel Raum der Chef beansprucht. In jeder Hinsicht.
Die beiden Ärzte haben sich im Speisesaal an einem etwas abseits stehenden Tisch niedergelassen, um ungestört über dies und das reden zu können. Gleichzeitig soll ihre Anwesenheit den Patienten und einfachen Mitarbeitern physisch vermitteln, dass im
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auch der nichttherapeutische Alltag von größter Transparenz und Offenheit geprägt ist. Für hierarchische Dünkel ist hier kein Platz. Ein schönes Bild: Der oberste Arzt frühstückt im Speisesaal neben Leuten
mit akzentuierter Persönlichkeitsstruktur
, wie Dr. Sachs jene am liebsten nennt, deren mannigfaltige Störungen ihm sein nicht geringes Einkommen garantieren. Immerhin steht die
geglückte Kommunikation und Interaktion zwischen Ärzten, Therapeuten und Patienten
im Leitbildfolder der Klinik an oberster Stelle.
„Es gibt da neuerdings Zores mit Sigi“, berichtet Dr. Selzer. „Das Problem sollten wir wirklich offensiv angehen. Die Arme hat offenbar eine Patientin in ihrer Gruppe, mit der nicht gut Kirschen essen ist.“
„Will heißen?“
„Will heißen, dass für die Kollegin eine Vorverlegung der Supervision dringend angeraten erscheint. Um es dezent auszudrücken. Gestern Nachmittag hat sie mich vor meinem Büro abgefangen, heulend wie ein Schlosshund. Wollte alles hinwerfen.
Sie oder ich!
, hat sie gezetert,
sie oder ich
. Ich würde sagen, sie stand haarscharf vor einem Impulsdurchbruch. Besonders unangenehm war, dass einige Patienten das Ganze mitbekommen haben.“
Dr. Sachs schiebt sich ein Hörnchen mit Aprikosenkonfitüre in den Mund. „Unsere zarte Sigi“, meint er unter genüsslichem Kauen, „da staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich. Sie haben die Sache natürlich in den Griff gekriegt, oder? Erzählen Sie, Selzer, aber bitte von Anfang an. Ich bin ganz Ohr.“
Selzer berichtet vom Wunsch der Kunsttherapeutin Sigrid Bayer, ihren Kurs schnellstmöglich an Beate Ehlich abzugeben. Dabei hat Beate erst vor ein paar Wochen auf der Station angefangen, während Sigrid schon das dritte Jahr in der Klinik tätig ist. Und sowohl im Team als auch bei den Patienten ist sie im Allgemeinen überaus beliebt.
„Sie können sich vorstellen, dass ich diesem Wunsch nicht gleich nachgekommen bin.“
„Wie hat sie ihn denn begründet?“
„Nun, zuerst argumentierte sie, sie wolle sich nicht mehr auf das Töpfern reduzieren lassen, schließlich habe sie in ihrer Ausbildung noch andere Fertigkeiten erworben, die zu verkümmern drohten. Klang für mich zwar etwas eigenartig, aber ich versprach ihr, mich für sie einzusetzen, bis Februar müsse sie allerdings schon als Kursleiterin weitermachen. Gestern kam sie, wie
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