Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
dass ihr Sohn dort drinnen sein musste, von den Flammen eingeschlossen. Das nackte Grauen spiegelte sich in ihren Augen. Dann begann sie wieder zu schreien. Es waren Schreie, die Hambrock bis ins Mark drangen. Doch er konnte nichts tun. Er konnte ihren Sohn nicht retten.
Wenig später tauchte die Feuerwehr auf. Doch die Scheune brannte bereits lichterloh und lediglich das Übergreifen der Flammen auf andere Gebäude konnte noch verhindert werden. Auch ein Krankenwagen war eingetroffen. Der Notarzt kümmerte sich um Carl Beeke. Er hatte Knochenbrüche und Verbrennungen erlitten, doch er würde durchkommen. Wenigstens ein Leben hatte Hambrock in dieser Nacht gerettet.
Manfreds Leiche konnte erst Stunden später aus den Trümmern geborgen werden. Sie war bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Er hatte es nicht mehr aus der Scheune geschafft, und Hambrock trug die Schuld daran. Er hatte ihn niedergeschlagen, um Carl zu schützen. Dafür würde er sich noch verantworten müssen. Aber nicht mehr heute Nacht. Er würde morgen früh seinen Bericht erstellen, und dann würde man sehen, wie es weiterging.
Carl Beeke, der im Krankenwagen wieder zu Bewusstsein gekommen war, zog Hambrock zu sich heran und berichtete von einem alten Geheimnis, das die Familie Schulte-Stein bewahren wollte. Es ging um ein sechstes Kind, das während der letzten Kriegstage auf dem Hof gelebt hatte. Der rechtmäßige Erbe des Hofes. Rosa Deutschmann hatte dieses Geheimnis offenbar gekannt. Und Helga Schulte-Stein und ihr Sohn wollten um jeden Preis verhindern, dass es ans Licht kam. Daher hatten sie geplant, Rosa Deutschmann zu ermorden.
Carl Beeke redete schnell, und es war nicht immer leicht, ihm zu folgen. Schließlich beendete der Notarzt die Unterredung und schickte Hambrock fort. Der Krankenwagen verließ mit Blaulicht den Hof.
Verstärkung traf ein, und die Kollegen begannen, Fragen zu stellen. Helga Schulte-Stein bot keinen Widerstand mehr. Nach dem Tod ihres Sohns war sie wie paralysiert. Sie gestand ihre Mittäterschaft am Mord von Rosa Deutschmann ebenso wie den Versuch, mit Manfreds Hilfe Carl Beeke zu töten.
Hambrock erledigte alles Nötige, denn er wollte so schnell wie möglich zurück nach Münster ins Krankenhaus. Doch als er sich endlich losreißen konnte, war es bereits nach drei. Es war keine Menschenseele mehr auf den Straßen unterwegs, deshalb kam er zügig voran.
Die Krankenhausflure waren ebenfalls verwaist. Er hatte Angst vor dem, was kommen würde.
Jenseits der Scheibe sah er nur eine einsame Gestalt im Aufenthaltsraum sitzen. Es war Elli. Sie hockte da und sah zu Boden. Die anderen waren fort. Sein Herz setzte einen Schlag aus. Ihm war klar, was das zu bedeuten hatte. Birgit war tot. In den Stunden seiner Abwesenheit war sie gestorben. Die anderen hatten bereits Abschied genommen, nur Elli war geblieben, um auf ihn zu warten.
Es war, als würde sein Magen zusammengedrückt werden. Er geriet ins Straucheln. Seit Tagen war klar, worauf es hinauslaufen würde. Doch jetzt, wo es so weit war, raubte es ihm den Atem.
Elli schien seine Gegenwart zu spüren. Sie blickte auf, erhob sich und ging ihm entgegen. Auf ihrem Gesicht tauchte ein Lächeln auf.
»Bernhard, da bist du ja. Endlich.«
»Wo sind die anderen? Was ist los? Ist Birgit tot?«
Sie umarmte ihn. Ihre Brust hob und senkte sich leicht. Sie lachte.
»Sie ist nicht tot. Das Fieber ist gesunken. Die Ärzte sagen, sie hat auf die Medikamente angesprochen. Sie …« Nun liefen Tränen über ihr Gesicht. »Wie es aussieht, hat sie das Schlimmste überstanden. Sie ist über den Berg.«
»Was …? Aber … aber das ist unmöglich.«
»Nein. Das ist es nicht. Sie lebt. Hörst du? Sie wird leben.«
In seinem Kopf war nur Rauschen. Er brauchte eine Weile, bis er wieder klar denken konnte. Die Erkenntnis sickerte langsam zu ihm durch, bis er schließlich verstand: Birgit würde tatsächlich überleben.
23
Am frühen Mittwochnachmittag kehrte Hambrock aus der Kantine in sein Büro zurück, um den Computer herunterzufahren, seine Unterlagen zusammenzuräumen und Feierabend zu machen. Der Nachmittag war verplant, alles war bereits mit den Kollegen abgeklärt. Er nahm den Autoschlüssel, schloss die Bürotür hinter sich und steuerte das Treppenhaus an. Da entdeckte er einen Fleck auf seinem Hemd. Tomatensoße. Den musste er sich beim Mittagessen in der Kantine zugezogen haben. Ausgerechnet heute. Er fluchte leise und stieß die Tür zum Waschraum auf.
Ein eisiger
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