Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
Lufthauch wehte ihm entgegen, geschwängert von kaltem stinkendem Rauch. Keller stand am offenen Fenster und rauchte. Hambrock grüßte, stellte sich ans Waschbecken und begann, den Fleck zu bearbeiten.
»Ist es schon so weit?«, fragte Keller. »Geht es jetzt los?«
»Ja, gleich. Ein bisschen Zeit habe ich noch.«
Hambrock nahm ein Papierhandtuch, feuchtete es an und rubbelte an dem Fleck herum. Doch er hatte das Gefühl, die Soße nur noch weiter zu verteilen. Durch den Spiegel warf er einen Blick auf Keller.
»Seid ihr mit den Befragungen von Walther Vornholte durch?«, fragte er. »Oder ist noch was offen?«
»Nein, alles durch. Komplettes Geständnis. Da bleiben keine Fragen offen. Er hat rückhaltlos mit uns kooperiert. So wie es ihm sein Anwalt geraten hatte.«
»Im Prinzip hatten wir ja schon alles«, meinte Hambrock. »Nur die Sache mit Rosa Deutschmann hat er uns verschwiegen.«
»Weil er dachte, Antonius Holtkamp hätte sie umgebracht. Deshalb.«
Eine seltsame Geschichte war das. Die drei alten Männer hatten gemeinsam mit Siegfried Wüllenhues eine verschworene Gemeinschaft gebildet. Zuerst wurden nach dem Mord an Alfons alle Spuren verwischt. Dann planten sie den Einbruch bei Rosa Deutschmann. Und alle schwiegen sie, egal wen die Polizei befragte. Doch als schließlich Rosa ermordet worden war, hatten sie alle geglaubt, einer aus ihrem Kreis sei der Täter. Walther und Heinz hatten zuerst miteinander gesprochen und sich versichert, unschuldig zu sein. Also wurde Antonius verdächtigt. Der wiederum glaubte, die beiden anderen hätten Rosa ermordet.
»Seltsame Freunde sind das«, meinte Hambrock.
»Das kannst du wohl sagen. Aber es war wohl für sie alle eine Extremsituation.«
Die drei hatten nicht geahnt, was sie mit dem Diebstahl des Fotoalbums losgetreten hatten. Die Polizei begann sich dafür zu interessieren, was in den letzten Kriegstagen auf dem Hof von Schulte-Stein passiert war. Für Helga Schulte-Stein wurde es zu einem Albtraum. Schließlich hatte sie genau dort etwas zu verbergen: ihr gut gehütetes Familiengeheimnis, das keinesfalls ans Licht durfte.
Dabei war es ihr weder um den eigenen Vorteil gegangen noch um den Namen der Familie Schulte-Stein. Sie hatte das nur für ihren Sohn Manfred getan, den sie über alles liebte. Er sollte nach Alfons’ Tod der Hofherr auf dem Gut werden. Das gesamte Erbe bekommen. Keiner sollte ihm seinen rechtmäßigen Besitz streitig machen können.
Auch Helga Schulte-Stein arbeitete nun mit der Polizei zusammen. Sie hatte alles gestanden. Nach dem Tod ihres Sohnes war kaum noch Widerstand bei ihr zu spüren. Beinahe wirkte es, als hätte sie mit dem eigenen Leben abgeschlossen. Sie lieferte ihnen die Bestätigung: Das Kind von Rudolph Schulte-Stein war ins Gesindehaus verstoßen und dort sich selbst überlassen worden. Die Alliierten waren eingerückt, und die Magd, die sich ums Kind kümmern sollte, war Hals über Kopf nach Warendorf verschwunden. Otto tauchte unter, um dem Zorn der Zwangsarbeiter zu entgehen, und es gab keinen mehr auf dem Hof, der sich um die Kleine kümmerte. Rosas und Renates Mütter waren es gewesen, die das Kind wegbrachten, an einen sicheren Ort, wo es jemand bei sich aufnahm. Sie wussten, das Kind hatte von Schulte-Stein nichts mehr zu erwarten.
Die Frage war nur: Wo war dieses Kind gelandet? Helga wusste es nicht, zumindest gab sie das vor. Und auch sonst schien keiner einen Hinweis zu haben. Alle, die es hätten wissen können, waren bereits tot.
»Seid ihr bei der Suche nach dem Kind von damals weitergekommen?«, fragte Hambrock. »Gibt es eine Spur?«
»Nein, nichts. Das sieht nicht gut aus.«
»Was ist mit Renates Mutter? Wart ihr im Pflegeheim?«
Keller schüttelte den Kopf. »Sie hatte einen erneuten Schlaganfall. Helgas Besuch am Sonntag war wohl zu viel für sie gewesen. Am Abend ging es dann plötzlich bergab. Sie kam sofort ins Krankenhaus. Den Schlaganfall hat sie zwar überlebt, doch die Ärzte wissen nicht, ob sie jemals wieder ansprechbar sein wird. Es ist zumindest nicht damit zu rechnen, dass sie sich an den Namen der Familie erinnert, wo sie und Frau Deutschmann das Kind abgegeben haben.«
»Heißt das, wir werden die Identität des Kindes nicht herausfinden?«
»Wahrscheinlich nicht. Ich wüsste nicht, wie.«
Hambrock nickte. Irgendwie hatte er schon mit so etwas gerechnet. Viele Kinder waren damals verschwunden. Das verlorene Kind der Schulte-Steins war kein Einzelfall. Es würde wohl ebenfalls
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