Duft der Unschuld - Tennington (German Edition)
reagierte, brachte Kylian wieder mehr Abstand zwischen uns.
Seine Gedanken waren so rein und vernünftig wie eh und je und es gab wirklich keinen Anlass, an seiner Aufrichtigkeit und Vertrauenswürdigkeit zu zweifeln.
Dass dieser Musterknabe mich trotzdem immer wieder in meinem sowieso schon vollkommen gestörten Hormonhaushalt aus der Bahn warf, war nicht seine Schuld und ich ertrug es stoisch und mit festen Gedanken an Etienne und dessen schönen Körper. Ich wollte ihn mit jedem Tag dringender bei mir spüren.
Mir war nie klar gewesen, wie wahnsinnig einen echte, tiefe Sehnsucht erfassen konnte. Und nun erlebte ich es mit einem seltsam zwiespältigen Gefühl. Einerseits bestärkte mich diese Sehnsucht in meiner allumfassenden Liebe zu Etienne, andererseits frustrierte sie mich über alle Maßen. Nervtötend, das Ganze.
Ich seufzte und konzentrierte mich wieder auf Mister Heller und seinen Unterricht. Dabei hatte ich allerdings nicht das Gefühl, irgendetwas Neues zu lernen. Vielleicht lag das am Thema, denn von Humangenetik wusste ich vermutlich deutlich mehr als Heller selbst.
Trotzdem versuchte ich wenigstens den Anschein eines interessiert lauschenden Schülers zu erwecken und ließ meine Gedanken nur noch am Rande zu Etienne abschweifen. Was er wohl gerade machte? Vielleicht einen Motoriktest? Oder ein Gespräch mit irgendwem? Vielleicht einem Psychologen? Ach, alles war denkbar und genau das nervte mich noch mehr. Der leere Platz neben mir wirkte so gähnend und tief wie ein bodenloser Abgrund, in den ich nur zu gern hineingestürzt wäre, wenn ich dort unten in Etiennes Armen liegen könnte …
Mein erneutes Seufzen war so laut, dass Mister Heller mich fixierte.
„Mister MacMillan, Ihre offenbar hormonell bedingten Lautäußerungen haben in meinem Unterricht nichts verloren. Wenn Sie also nicht draußen weiterseufzen wollen, sollten Sie sich jetzt zusammenreißen.“ Er sagte das mit dieser ruhigen, genau deshalb besonders bedrohlich wirkenden Stimme, dass die Worte mich härter trafen, als es ein lautstarker Anschiss inklusive Klassenzimmerverweis gekonnt hätte.
Ich zuckte zusammen und setzte mich kerzengerade hin, während ich spürte, wie das Blut in meine Wangen schoss und meine Mitschüler nur halbherzig unterdrückt lachten.
Zut alors , das war echt nicht mein Tag!
Heller ließ es dabei bewenden und setzte nahtlos mit seiner Abhandlung über technisch forcierte Mutationen fort. Ich führte meine stumpfsinnigen Grübeleien wohlweislich nicht weiter. Stress war echt nichts, worauf ich Lust hatte. Zumindest nicht noch mehr Stress, als ich sowieso schon hatte …
Der Unterricht verging, mein Ausritt auch – Kylian hatte einen anderen Freizeitkurs – und nach dem Dinner stiefelte ich ins Dorf zu Zachary. Dort sah ich im Vorbeigehen einen der neuen Einwohner des Ortes. Neben den beiden Hikern waren noch eine Frau und ein Mann angekommen.
Er hatte ein leerstehendes Haus gekauft und sich mit der Frau, die seine jüngere Schwester sein sollte, und zwei Hunden dort niedergelassen. Diese Frau suchte ständig Zacharys Buchladen auf und ich wusste, dass sie immer wieder versuchte, ihn auszuhorchen. Über das Dorf, über die Schulen … Sie war nett, aber Zachary kam sie dennoch falsch vor. Ich hätte zu gern mal ihre Gedanken gelesen, aber da ich erst abends zu ihm gehen konnte, klappte das nicht.
Sie und ihr Bruder wurden jedoch von uns als potentielle Bedrohung angesehen, ebenso die Hiker. Alle vier waren einfach bei aller Fassade nicht die typischen Menschen, die sich hier aufhalten würden. Auch die Dorfbewohner hegten eine leichte Abneigung gegen die „Neuen“.
Ich ging mit dem Mobilteil von Zacharys Ladenanschluss in Etiennes altes Zimmer und warf mich wie jeden Abend auf das Bett, bevor ich die Nummer der Villa anwählte.
Es dauerte ewig, bis endlich abgehoben wurde.
„Ja?“, maulte jemand in den Hörer, den ich stimmlich nicht zuordnen konnte. War der Anruf tatsächlich zur Zentrale zurückgeleitet worden?
„Yves hier, ich wollte zum Privatanschluss der Villa, wo bin ich denn nun gelandet?“
„Zentrale“, bekam ich unwirsch zurück.
„Und wie heißen Sie?“, erkundigte ich mich. So schroff behandelte mich gefälligst niemand!
„Krüger. Soll ich dich zurückverbinden?“
„Ja, bitte. Schönen Abend noch.“
Es piepte in der Leitung, dann erklang eine Wartemelodie und irgendwann hob endlich jemand ab.
„Ja?“
„Hi, kleiner Rabe, wie geht es dir?“, grüßte ich
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