Dumm gelaufen: Roman (German Edition)
Herren, der Sieger des siebten Rennens steht fest: Es ist Orion, der wie bereits im vergangenen Jahr seiner Favoritenrolle gerecht geworden ist. Nicht mehr als eine Nasenlänge dahinter Hanno, Dritter ist der vierjährige Springfield! Die Quoten …«
Während sich die Menge langsam auflöst und die wertlos gewordenen Wettscheine an meinem Guckloch vorbeiregnen, sehe ich einen Krankenwagen über das schwere Geläuf schlingern und Kurs auf die Schlusskurve nehmen. Das sieht wirklich gar nicht gut aus.
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als Phil sich in Bewegung setzt und mit den Fingerspitzen auf den Deckel der Tasche klopft: »Glückwunsch«, flüstert er mir zu, » 114 zu 10 «.
Manchmal hat mein Partner dieselbe bescheuerte Angewohnheit wie mein Schlaumeier-Bruder Rufus: Sagt etwas, von dem er weiß, dass ich es nicht verstehe, um anschließend darauf zu warten, dass ich nachfrage, damit er mich vollklugscheißern kann. Ich mache es also wie bei Rufus und sage nichts. Ist mir zu blöd.
Halte ich allerdings nicht lange durch. »Aha«, sage ich also.
»Die Wettquote für den kleinen Einlauf«, erklärt Phil.
»Und das bedeutet?«
»Das bedeutet, wir haben etwas über zweihundert Euro gewonnen.«
»Aber unser Pferd ist doch gestürzt!«, sage ich. Im selben Moment verstehe ich: Es war nicht »unser« Pferd. »Du hast gar nicht auf Stardust gewettet.«
Phil tätschelt den Deckel seiner Tasche. »Sei nicht traurig, kleiner Mann. Von dem Gewinn besorge ich dir ein paar erstklassige Tausendfüßler.«
Er weiß, die mag ich am liebsten. »Lebende?«, frage ich.
»Wofür hältst du mich?«, entgegnet mein Partner, um dann anzufügen: »Selbstverständlich.«
Eigentlich war es das. Störtebeker ist als Letzter, aber immerhin unversehrt durchs Ziel gegangen, der Renntag ist vorbei, der Job ist erledigt. Phil lässt sich sein gewonnenes Geld durch den Schlitz schieben, schultert seine Tasche und geht zu den Ställen hinüber, wo wir mit Piet Hansen verabredet sind, um das Geschäftliche zu klären und anschließend in die Stadt zurückzufahren.
Auf dem Teilnehmer-Parkplatz herrscht gedrückte Stimmung, die in allgemeinem Schweigen zum Ausdruck kommt. Alle sind schwer betroffen wegen des Unfalls. Sogar die den Parkplatz verlassenden Autos brummen leiser als gewöhnlich. Besonders schlimm hat es Piet Hansen erwischt, der bei seinem Pferdeanhänger steht und dem bereits eingeladenen Störtebeker selbstvergessen über den Nasenrücken streicht. Wenn mich nicht alles täuscht, ringt er tatsächlich mit den Tränen.
»Die arme Ann-Sophie«, sagt er, sucht einen Halt und findet Phils Arm, »Stardust ist ihr Lieblingspferd, wissen Sie. Die beiden sind absolut unzertrennlich.«
Meinem Partner geht es wie mir.
»Ann-Sophie?«, fragt er.
Hansen sieht ihn an, als wüsste außer ihm jeder Zweibeiner nördlich des Äquators, wer Ann-Sophie ist: »Ann-Sophie Uckermark«, erklärt er, »Stardust ist ihr Pferd.«
»Dann ist sie die Gestütsbesitzerin?«
»Unsinn. Gestütsbesitzer ist ihr Vater, Reinhard.«
»Ah«, sagt Phil.
Ich frage mich, ob die Frau mit den zerbrechlichen Schlüsselbeinen, die Stardust vor dem Rennen über den Führring begleitet hat, möglicherweise die Tochter des Gestütsbesitzers sein könnte. Der kastanienbraune Pferdeschwanz, die vollen Lippen, die zarte Falte zwischen den türkisblauen Augen, der Hintern …
»Herr Uckermark!«
Piet Hansen hat offenbar den Gestütsbesitzer ausgemacht und eilt im Laufschritt über den Schotterplatz, wobei seine Schuhe zweimal in einer lehmigen Pfütze verschwinden. Oha, denke ich. Wenn einer wie Hansen durch eine Pfütze latscht, ohne an das Wohlergehen seiner Schuhe zu denken, dann muss es echte Anteilnahme sein.
Auf der anderen Seite des Parkplatzes schlurft ein älterer Herr über den Kies. Er zieht ein Pferd hinter sich her, allerdings nicht Stardust. Beide lassen ihre Köpfe hängen. Als er Piet Hansen auf sich zukommen sieht, hält er kurz inne. Die beiden geben sich die Hand. Hansen weiß nicht, was er sagen soll, Uckermark ebenfalls nicht. Wortlos stehen sie da und schweigen. Tut direkt ein bisschen weh hinzusehen. Das Pferd, das Uckermark bei sich hat, lässt seinen Kopf nur deshalb nicht auf dem Boden schleifen, weil der Gestütsbesitzer es am Führstrick hält.
»O Mann«, raune ich Phil zu, »das sieht wirklich alles andere als gut aus.«
»Es wird ihr das Herz brechen.«
Es dauert einen Moment, ehe ich kapiert habe, dass der letzte
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