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Dumm gelaufen: Roman (German Edition)

Dumm gelaufen: Roman (German Edition)

Titel: Dumm gelaufen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
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bereits durchs Gehege tigert und sich nervös eine Klaue aufs Ohr haut, weil er es nicht erwarten kann, mit seinen neuesten Ermittlungsergebnissen zu glänzen. Aber mein schlauer Bruder ist nicht da. Erstaunlich. Es gibt eigentlich nur zwei Gründe, warum er einen seiner langen und ermüdenden Vorträge verschieben oder sogar ausfallen lassen würde. Ein Grund könnte sein, dass Rufus gerade wilden Sex mit Natalie hat. Ich glaube aber, diese Hypothese kann man getrost ausschließen. Alternativ könnte der Angriff gleich mehrerer Savannenadler meinen gesamten Clan vollständig ausgerottet haben, was aber im Berliner Zoo ähnlich unwahrscheinlich ist wie Variante Nummer eins.
    »Warum ist denn hier überhaupt niemand?«, fragt Phil verblüfft.
    Erst jetzt begreife ich, dass nicht nur Rufus fehlt. Im Gehege herrscht gähnende Leere. Und das, obwohl die Sonne scheint, ein laues Lüftchen weht und sich Horden von Schulklassen durch den Zoo schieben. Ein perfekter Tag, um unsere Sympathiewerte zu verbessern. An einem solchen Morgen müsste eigentlich Natalie ihre obligatorische Peepshow vorführen. Roxane würde mit ihren Neugeborenen Sonne tanken, bewacht von einem grimmig dreinblickenden Rocky. Die Kids aus dem fünften Wurf hätten Spaß beim Herumtollen, und irgendwo hinten auf einem Stein säße Pa, leicht gebeugt und völlig unbeweglich, den Blick in die Ferne gerichtet.
    »Keine Ahnung«, antworte ich und warte einen günstigen Moment ab, um unbemerkt Phils Tasche zu verlassen und ins Gehege zu huschen. »Ich schau mal nach, was hier los ist.«
    Phil nickt. »Ich hol mir in der Zwischenzeit einen Kaffee.«
    Während ich durch das leere Gehege schlendere, überkommt mich ein mulmiges Gefühl. Die Vorstellung, tatsächlich ganz allein auf der Welt zu sein, lässt eine plötzliche Panik in mir aufsteigen. Rufus könnte das sicher leicht erklären. Ich gehe mal davon aus, es hat mit unserem angeborenen Sozialverhalten zu tun. Ein Erdmännchen wünscht seine Familie zwar oft zum Teufel, aber eben nur in der Theorie. In der Praxis würde dann doch jeder von uns sein Fell für den anderen hinhalten.
    Unwillkürlich kommt mir Elsa in den Sinn. Wie mag es ihr gehen? Ob sie in manchen Momenten so an mich denkt wie ich an sie?
    Ein leises Trommeln reißt mich aus meinen Gedanken. Es klingt nach Regen, der auf das Dach des Steinhauses prasselt.
    Ich blicke zu unserem weiter hinten gelegenen Winterquartier und traue meinen Augen nicht. Hinter der Glasscheibe drängelt sich mein Clan. Jene, die vorne stehen, drücken die Nasen gegen die Scheibe und trommeln mit den Krallen dagegen – was das Prasseln verursacht. Meine Verwandten versuchen offenbar, mir etwas mitzuteilen. Leider kann ich nicht hören, was gerufen wird, weil die Scheibe den Schall verschluckt, aber die weitaufgerissenen Augen und das hektische Gestikulieren lassen mich vermuten, dass ich gerade in höchster Gefahr schwebe.
    Erstaunt schaue ich mich um. Außer ein paar Schulkindern, die uns mit Pausenbroten bewerfen könnten, sehe ich hier absolut nichts Gefährliches.
    Rufus erscheint im Eingang des Steinhauses. Er sieht aus wie jemand, der einem anderen die Bustür aufhält. »Komm! Was ist denn los mit dir? Bist du schwer von Begriff, oder was? Los! Weg da! Beeil dich!«
    Ich tue nichts dergleichen. Betont lässig schlendere ich zum Steinhaus. Keine Ahnung, was passiert ist, aber ich könnte schwören, dass meine Familie mal wieder maßlos übertreibt.
    »Okay. Was ist hier los?«, frage ich, als der Eingang wieder mit einem alten Kochtopfdeckel und ein paar Steinen fest verschlossen ist.
    »Wir haben hier einen …«, beginnt Rufus.
    Sofort hebe ich abwehrend eine Klaue, um ihm das Wort abzuschneiden. »Wenn du mir jetzt einen von deinen dämlichen Codes um die Ohren hauen willst, die sich sowieso kein Schwein merken kann, dann sag ich allen hier, dass du Bilder von Natalie …« Ich zögere, meine Drohung auszusprechen, weil ich Rufus’ erschrockenes Gesicht sehe. Gerade hört mir der ganze Clan zu. Und es muss ja nicht jeder wissen, was Rufus in seiner Freizeit und in rein privatem Rahmen so alles mit Natalies Bildern anstellt.
    »Was denn für Bilder von mir?«, will Natalie mit unüberhörbarem Interesse wissen.
    »Nicht so wichtig«, winkt Rufus ab und sieht mich mit panisch-flehenden Augen an.
    Ich seufze leise. »Stimmt. Nicht so wichtig. Also, worum geht es jetzt?«
    »Schlangen«, bringt Rufus mühsam hervor.
    »Puffottern«, ruft Pa. »Der ganze

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