Dumm gelaufen: Roman (German Edition)
Geheges. Hier finden Kinoveranstaltungen, Clantreffen oder Disconächte statt. Rufus nennt es »multifunktionale Architektur«. Wenn der Raum gerade nicht für einen besonderen Anlass umgebaut ist, fungiert er als Nachtclub. Zu Chill-out-Musik kann man sich in halb aufgeblasenen Kinderschwimmflügeln fläzen und die Mühen des Alltags vergessen. Offiziell heißen die Schwimmflügel natürlich Clubsessel. Ich schiebe Rick also ein paar Clubsessel zusammen, damit er es sich bequem machen kann, und lasse mich dann selbst in einen fallen.
Da ich nicht weiß, was ein Therapeut eigentlich macht, überlasse ich es Rick, das Gespräch zu gestalten.
Mit sanfter Stimme und freundlichem Gesicht frage ich: »Was möchtest du mir denn erzählen, Rick?«
Der Sergeant beginnt damit, mir zuerst zaghaft und stockend, dann aber immer flüssiger von seinen Träumen zu berichten. Sie hängen mit diversen Auftragskillerjobs zusammen, die er als Undercoversoldat für die Amerikaner erledigt hat. Rick kann praktisch jedem Traum einen Auftrag zuordnen. Da er bei seinen Schilderungen immer weiter ausholt, kommen wir irgendwann auch auf seine Jugend und dann auf seine Kindheit sowie auf das Verhältnis zu seiner Familie zu sprechen.
Zwischenzeitlich von bleierner Müdigkeit befallen, bin ich an dieser Stelle wieder ganz bei der Sache. Mag ja sein, dass ich von militärischen Dingen und insbesondere von der Auftragskillerei keinen blassen Schimmer habe, wenn es aber um Familienprobleme geht, da kann mir keiner so leicht etwas vormachen. Und Rick hat gleich einen ganzen Sack voller Familienprobleme. Eine ältere Schwester, zu der er vor langer Zeit den Kontakt abgebrochen hat. Eine Mutter, die gleich nach seiner Geburt abgehauen ist. Und einen Vater, der sich mit den Weibchen aus dem benachbarten Revier vergnügt hat, statt sich um seine Familie zu kümmern.
Als Rick seine Geschichte erzählt hat und nun nachdenklich vor sich hin zischelt, frage ich mich, was ich ihm jetzt raten soll. Ehrlicherweise müsste ich ihm sagen, dass sein Leben ziemlich verkorkst ist und ich auch keine Ahnung habe, wo man mit dem Aufräumen anfangen sollte. Das werde ich aber natürlich nicht tun, weil Rick ein wirklich netter Kerl ist, wenn er nicht gerade Leute umbringt. Außerdem hat er viel Pech im Leben gehabt. Wer weiß, was aus ihm geworden wäre, wenn nicht die Armee ihn in die Finger gekriegt hätte, sondern jemand, der ihm ein bisschen Zuneigung und Verständnis entgegengebracht hätte.
Während ich darüber nachdenke, was ich ihm mit auf den Weg geben könnte, geschieht etwas Merkwürdiges. Rick selbst hat einen Vorschlag, wie er den ersten Schritt machen könnte, um irgendwann seinen Seelenfrieden wiederzufinden.
»Meinst du, ich sollte Kontakt zu ihr aufnehmen?«, fragt er leise.
Ich weiß, dass er seine Schwester meint. Darüber habe ich nämlich eben auch schon nachgedacht. Wenn es in seiner Macht läge, das Kriegsbeil zu begraben, dann sollte er sich fragen, ob es nicht sinnvoller wäre, ihr ein Friedensangebot zu machen, statt völlig einsam durch dieses Leben zu kriechen. Weil Rick gerade ganz allein darauf zu sprechen gekommen ist, möchte ich, dass er den Gedanken auch allein zu Ende führt. Ich beschließe, ihm dabei zu helfen.
»Zu wem willst du Kontakt aufnehmen?«, frage ich.
»Zu meiner Schwester«, antwortet er, kaum hörbar.
Gut so, denke ich. Er ist auf dem richtigen Weg. »Und warum möchtest du Kontakt zu deiner Schwester aufnehmen?«
»Findest du das etwa keine gute Idee?« Er schaut mich unsicher an.
»Es ist deine Schwester«, erwidere ich. »Du allein musst also entscheiden, ob du den Kontakt herstellen willst. Ich möchte nur gerne von dir wissen, ob du bei dem Gedanken ein gutes Gefühl hast.«
Wieder blickt er nachdenklich zischelnd zur Decke.
»Ja«, sagt er dann mit fester Stimme. »Ich habe ein sehr gutes Gefühl bei dem Gedanken, sie wiederzusehen.«
»Das freut mich. Dann solltest du jetzt keine Zeit verlieren. Wohnt sie weit von hier?«
»Erfurt«, erwidert Rick. »Thüringer Zoopark.«
»Na bestens. Wenn du heute noch eine Taube losschickst, dann kannst du theoretisch schon morgen eine Antwort haben.«
Rick bewegt den Kopf auf und ab. Sieht aus, als würde er nicken. »Danke, Mann. Du hast mir sehr geholfen.«
»Gern geschehen«, erwidere ich.
»Sag deinen Leuten bitte noch, dass es mir leidtut, sie alle in Angst und Schrecken versetzt zu haben. Und falls ich mal was für dich tun kann, dann weißt du
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