Dune 01: Der Wüstenplanet
Ehrlichkeit dieser Leute erfahren.
Paul benutzte die sich jetzt ausbreitende Stille dazu, sich über den Vorsprung zu beugen, um bessere Sicht auf seine Mutter zu haben. Gleichzeitig hörte er über sich das schwere Atmen eines Menschen, das sofort verstummte. Über ihm, am Ende der Felsspalte, erkannte er die schattenhaften Umrisse einer Gestalt, die sich gegen den nächtlichen Himmel abhob.
Von unten erscholl Stilgars Stimme: »Du da oben! Du brauchst nicht mehr nach dem Jungen zu suchen. Er kommt sowieso gleich herunter.«
Die Stimme eines Jungen oder eines Mädchens erwiderte aus der Finsternis: »Aber Stil, er kann nicht weit von mir ...«
»Laß ihn in Ruhe, Chani, du Echsenbrut!«
Ein geflüsterter Fluch drang an Pauls Ohren, verbunden mit dem empörten Satz: » Mich als Echsenbrut zu bezeichnen!« Aber der Schatten verschwand.
Paul richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Tiefe und konzentrierte sich auf die graue Gestalt Stilgars, die neben seiner Mutter stand.
»Kommt alle her«, rief Stilgar aus, und mit einem Blick auf Jessica: »Und jetzt möchte ich dir eine Frage stellen. Wie sollen wir sicher sein, daß du dein Versprechen hältst? Du gehörst zu jenen, deren Versprechungen ständig mit papierenen Verträgen und zahllosen Unterschriften besiegelt werden, und ...«
»Wir Bene Gesserit halten genausoviel von der Einhaltung unserer Abmachungen wie ihr Fremen«, erwiderte Jessica.
Eine Weile herrschte allgemein verblüfftes Schweigen. Dann zischten mehrere Stimmen: »Eine Bene-Gesserit-Hexe!«
Paul zog die erbeutete Waffe aus der Schärpe und richtete sie auf Stilgar, aber der Mann und seine Begleiter blieben unbeweglich stehen und starrten seine Mutter an.
»Es ist eine Legende«, sagte jemand.
»Man sagt, daß die Shadout Mapes dich bereits unterrichtet hat«, fuhr Stilgar fort. »Aber eine Sache von solcher Wichtigkeit muß geprüft werden. Bist du die Bene Gesserit, deren Sohn uns den Weg zum Paradies zeigen wird, dann ...« Er zuckte mit den Achseln.
Seufzend dachte Jessica: Also hat unsere Missionaria Protectiva sogar in dieser Sandhölle für religiöse Sicherheitsventile gesorgt. Nun ... es wird uns helfen. Und mehr war auch von ihr nicht beabsichtigt.
Sie sagte: »Die Seherin, die euch diese Legende brachte, war durch die Bande von Karama und Ijaz verpflichtet – dies weiß ich sicher. Ihr wollt also ein Zeichen?«
Stilgars Nasenflügel vibrierten im Schein des Mondlichts. »Wir haben keine Zeit mehr für die Riten«, flüsterte er.
Jessica erinnerte sich an die Landkarte, die Kynes ihr gezeigt hatte, während ihrer Flucht. Wie lange das nun schon zurückzuliegen schien! Auf ihr war ein Ort eingezeichnet gewesen, der den Namen ›Sietch Tabr‹ getragen hatte. Daneben hatte nur ein Wort gestanden: ›Stilgar‹.
»Vielleicht, wenn wir im Sietch Tabr angekommen sind«, lautete ihre Antwort.
Die Worte beeindruckten Stilgar sichtlich, und Jessica dachte:
Wenn er nur wüßte, welche Tricks wir benutzen! Die Bene Gesserit, die die Missionaria Protectiva nach Arrakis schickte, muß ausgezeichnete Arbeit geleistet haben. Die Fremen sind sehr gut darauf vorbereitet worden, an uns zu glauben.
Stilgar bewegte sich unruhig. »Wir sollten jetzt gehen.«
Jessica nickte und gab ihm damit zu verstehen, daß sie mit ihrer Zustimmung aufbrachen.
Er hob den Kopf und schaute zu der Klippe hinauf, wo Paul auf dem Vorsprung hockte. »Du da, Junge, du kannst jetzt herunterkommen.« Zu Jessica gewandt, meinte er: »Dein Sohn hat beim Klettern ungeheuren Lärm gemacht. Er wird, wenn er einer der unseren werden will, noch viel zu lernen haben. Aber er ist ja noch jung.«
»Zweifellos werden wir viel voneinander lernen können«, entgegnete Jessica. »Inzwischen sollte sich jemand um den Mann kümmern, den mein Sohn entwaffnete. Ich glaube, er ist nicht nur laut, sondern auch ziemlich rauh mit ihm umgegangen, als er ihn niederschlug.«
Stilgar wirbelte herum. Seine Kapuze flatterte.
»Wo?«
»Hinter diesen Büschen«, deutete Jessica an.
Stilgar stieß zwei seiner Leute an. »Schaut nach ihm.« Er warf einen raschen Blick auf die anderen und sagte dann, erkennend, wen Paul erledigt hatte: »Jamis fehlt.« Zu Jessica gewandt, meinte er: »Also beherrscht auch dein Sohn diese Technik.«
»Und außerdem wirst du feststellen, daß er sich trotz deiner Anweisung bisher nicht von der Stelle gerührt hat«, stellte Jessica fest.
Die beiden von Stilgar ausgeschickten Männer kehrten nun zurück.
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