Dune 01: Der Wüstenplanet
Sorge«, erwiderte Stilgar beruhigend. »Es ist bei uns nicht üblich, Frauen gegen ihren Willen zu nehmen. Und was dich angeht ...« – er zuckte mit den Achseln – »... so wirst du dir den gebührenden Respekt schon verschaffen.«
»Ich hoffe, du vergißt nicht, daß ich die Lady eines Herzogs war«, erwiderte Jessica gelassen.
»Wie du wünschst«, nickte Stilgar. »Aber es ist jetzt an der Zeit, diese Öffnung zu verschließen, damit meine Männer die Destillanzüge ablegen können. Sie müssen sich während des Tages ausruhen, und wenn sie es dabei etwas bequemer haben, bedeutet das viel für sie. Wenn sie erst mal bei ihren Familien sind, werden sie kaum zum Ruhen kommen.«
Sie schwiegen beide.
Jessica sah in den Sonnenschein hinaus. Es war ihr nicht entgangen, was Stilgar mit seinen Worten unterschwellig hatte ausdrücken wollen. Er hatte ihr das Angebot gemacht, mehr als nur ein Beschützer zu sein. Brauchte er eine Frau? Es war ihr klar, daß sie einen Platz an seiner Seite einnehmen konnte. Damit wäre auch jeder eventuelle Streit um den Führungsanspruch innerhalb seines Stammes von vornherein beigelegt. Mit ihren vereinten Kräften brauchten sie keine Herausforderung zu fürchten.
Aber was würde dann aus Paul werden? Wer konnte schon absehen, welche Rechte bei den Fremen die Eltern über die Kinder hatten? Und was wurde aus der noch ungeborenen Tochter, die sie seit einigen Wochen in sich trug? Was wurde aus der Tochter des toten Herzogs? Sie machte sich die Bedeutung klar, die dazu geführt hatte, diesem Kind das Leben zu schenken. Sie wußte, welchen Grund die Empfängnis gehabt hatte. Er unterschied sich nicht von dem, den alle Kreaturen, die dem Tod ins Angesicht schauen mußten, besaßen. Der Nachwuchs verschaffte einem in gewisser Beziehung die Unsterblichkeit. Wenn sie starb, lebte etwas von ihr weiter.
Jessica sah Stilgar an und merkte, daß er die Linien ihres Gesichts studierte. Eine Tochter, die von einer Frau geboren wird, deren Mann ein Fremen ist – welches wird ihr Schicksal sein? fragte sie sich. Würde er die Notwendigkeiten überhaupt anerkennen, die das Leben einer Bene Gesserit ausmachten?
Stilgar räusperte sich und bewies damit, daß er Verständnis für die Lage aufbrachte, in der Jessica sich befand. »Wichtig für einen Führer sind die Eigenschaften, die ihn zu einem Führer machen«, sagte er. »Er muß die Bedürfnisse seines Volkes kennen. Wenn du mir deine Kräfte zeigst, kommt einmal vielleicht der Tag, an dem wir sie messen werden müssen. Ich persönlich würde eine Alternative vorziehen.«
»Gibt es denn Alternativen?« fragte Jessica.
»Die Sayyadina«, erwiderte Stilgar. »Unsere Ehrwürdige Mutter. Sie ist schon alt.«
Ihre Ehrwürdige Mutter!
Bevor sie näher darauf eingehen konnte, fuhr Stilgar fort: »Ich habe keinesfalls die Absicht, mich als dein Partner aufzudrängen. Das ist keineswegs abwertend gemeint, denn du bist eine sehr schöne und begehrenswerte Frau. Aber wenn du einen Platz unter meinen Frauen einnähmest, kämen vielleicht einige junge Männer auf den Gedanken, die Gelüste des Fleisches seien mir plötzlich wichtiger geworden als die Bedürfnisse meines Stammes. Ich bin mir sicher, daß sie sogar in diesem Moment versuchen, uns zu beobachten und aufzuschnappen, über welche Dinge wir gerade reden.«
Ein Mann, der sorgfältige Entscheidungen trifft und deren Konsequenzen im voraus berechnet, dachte Jessica.
»Unter unseren jungen Leuten gibt es einige, die sich gerade in den wilden Jahren befinden«, fuhr Stilgar fort. »Sie durchqueren eine Lebensphase, in der sie sorgsamer Anleitung bedürfen. Ich darf ihnen deswegen keine Motive liefern, die sie dazu verleiten könnten, mich herauszufordern. Die Wildheit der Jugend ist ähnlich wie die Blindheit. Ich könnte jeden in diesem Zustand lebenden jungen Mann töten, aber das will ich nicht. Es wäre ein Weg, den ein guter Führer vermeiden sollte. Ich habe eine ausgleichende Funktion wahrzunehmen und muß gleichzeitig darauf achten, daß die individuelle Entwicklung des einzelnen einen positiven Verlauf nimmt. Wenn ein Volk nicht aus individuellen Charakteren besteht, ist es kein Volk, sondern ein Mob.«
Die Behutsamkeit seiner Ausdrucksweise und die Tatsache, daß er seine Gedanken vor den Ohren derjenigen, die ihm jetzt vielleicht aus dem Verborgenen zuhörten, aussprach, brachten Jessica dazu, den Mann mit ganz anderen Augen zu sehen.
Er hat Charakter, dachte sie. Woher hat er
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