Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
erinnern, dachte Leto. Er wird, wenn es dunkel wird, herauskommen. Dann wird es zu spät sein, aber er wird alles verstehen.
Dann waren sie am Qanat. Sie schlüpften in eine offene Röhre, stiegen die Inspektionsleiter hinab und erreichten den Bedienungssims. Es war düster, feucht und kalt hier unten, und irgendwo hörten sie die platschenden Geräusche, die der Raubfisch erzeugte. Jede Sandforelle, die es wagte, hier einzudringen, würde dem Fisch zum Opfer fallen. Es war auch für die Menschen am besten, wenn sie ihnen aus dem Wege gingen.
»Vorsichtig«, sagte Leto und bewegte sich an dem schlüpfrigen Vorsprung hinab. Er konzentrierte seine Sinne auf Zeiten und Orte, die er niemals zuvor gesehen hatte. Ghanima folgte ihm.
Als sie das Ende des Qanats erreicht hatten, zogen sie ihre Destillanzüge aus und schlüpften in die mitgebrachten Kleider. Bevor sie durch die nächste Inspektionsröhre wieder an die Oberfläche kletterten, ließen sie ihre alten Roben zurück. Wie Würmer bahnten sie sich einen Weg über die nächste Düne und glitten an der Seite, die man vom Sietch aus nicht sehen konnte, wieder hinunter. Dort blieben sie sitzen, legten die Maula-Pistolen und Crysmesser an und warfen die Überlebenssätze über die Schultern. Die Musik war hier schon nicht mehr zu hören.
Leto stand auf und schlug den Weg ein, der zwischen den Dünen entlangführte.
Ghanima nahm seinen Schritt auf. Ohne das kleinste rhythmische Geräusch bewegten sie sich auf dem offenen Sand.
Hinter jedem Dünenkamm, den sie kreuzten, verhielten sie sich still und schauten auf den Weg zurück, den sie gekommen waren. Aber bis jetzt schien noch niemand bemerkt zu haben, daß sie fehlten. Selbst als sie die Nähe der Felsen erreichten, war weit und breit kein Verfolger zu erblicken.
Im Schatten der Felsen arbeiteten sie sich um den ›Begleiter‹ herum und erklommen einen Vorsprung, der ihnen einen Ausblick auf die Wüste ermöglichte. Die Bled schien in weiter Ferne in Farben getaucht zu sein. Die sich langsam verdunkelnde Umgebung wirkte wie zerbrechliches Kristall. Die Landschaft, über die ihre Blicke schweiften, kannte weder Mitleid noch Zögern. Sie war unendlich, und es war unmöglich, auf sie hinabzusehen und nur ein bestimmtes Detail im Auge zu behalten.
Der Horizont der Ewigkeit, dachte Leto.
Ghanima schmiegte sich an ihren Bruder und dachte: Sie werden uns bald angreifen. Sie achtete auf die kleinsten Geräusche. Ihr ganzer Körper war darauf ausgerichtet, die Signale der Gefahr aufzunehmen.
Leto befand sich in der gleichen alarmierten Stimmung. Er war sich jetzt der Kulmination jeglicher Ausbildungen, die jene, deren Erinnerungen nun die seinen waren, genossen hatten, voll bewußt. In einer Wildnis wie dieser war man dazu gezwungen, sich auf seine gesamten Sinne zu verlassen. Das Leben wurde zu einem Hort angesammelter Empfindungen, und jede einzelne war darauf fixiert, für den Moment zu überleben.
Ghanima kletterte plötzlich auf einen Stein und spähte durch eine kleine Spalte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Die Sicherheit des Sietchs, die sie bisher umgeben hatte, schien in weiter Ferne zu liegen. Jetzt waren sie lediglich von rotbraunen, mit Sand bedeckten Felsen umgeben, die lediglich einen visuellen Schutz gegen Angriffe auf ihr Leben boten. Noch immer keine Anzeichen etwaiger Verfolger. Die letzten Sonnenstrahlen erzeugten Silberstreifen am Himmel. Ghanima kam zurück an Letos Seite.
»Es wird ein Raubtier sein«, sagte er. »Dahin bin ich mit meinen Berechnungen gekommen.«
»Ich glaube, du hast mit deinen Berechnungen zu früh aufgehört«, meinte Ghanima. »Es wird nicht nur ein einzelnes Tier sein. Das Haus Corrino hat mittlerweile gelernt, das Wasser nicht nur auf einer einzigen Flamme zu kochen.«
Leto nickte zustimmend.
Die Anzahl der Leben, die für seine Andersartigkeit verantwortlich war, lastete plötzlich schwer auf seinem Bewußtsein: Es waren alle Leben, die die seinen gewesen waren, bevor er geboren wurde. Es war, als hätte er das Leben satt und wollte nur noch vor seinem eigenen Bewußtsein flüchten. Seine Innenwelt war wie ein gieriges Ungeheuer, das es darauf anlegte, ihn zu verschlingen.
Ruhelos erhob er sich und warf einen Blick durch die Spalte, an der vor kurzer Zeit noch Ghanima gestanden hatte. Er sah die Klippen des Sietch und darunter den Lauf des Qanat, der sich zwischen Leben und Tod dahinschlängelte. Am Rand der Oase erblickte er Beifußgewächse und
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