Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
ausgenommen in den tiefsten Tiefen des Leeren Viertels. Wir haben unseren Freund, die Wüste, erzürnt!«
Jessica sah Alia an, doch diese schien darauf zu warten, daß sie fortfuhr. Als Jessica in die Menge starrte, sah sie erschreckte Gesichter. Der harte Kampf zwischen Mutter und Tochter hatte die Leute offensichtlich ungeheuer beeindruckt. Sicherlich fragten sie sich, aus welchen Gründen die Audienz überhaupt weitergeführt wurde. Sie wandte sich wieder al-Fali zu.
»Ghadhean, was hat diese Rede über die kleinen Bringer und die Seltenheit der Sandwürmer zu bedeuten?«
»Mutter der Feuchtigkeit«, sagte al-Fali und benutzte damit ihren alten Frementitel, »wir sind durch die Kitab al-Ibar davor gewarnt worden. Wir beschwören Euch. Vergeßt niemals, daß an jenem Tag, an dem Muad'dib starb, aus Arrakis eine ganz andere Welt wurde, die sich gegen sich selbst richtete! Wir können die Wüste nicht aufgeben.«
»Hah!« knirschte Alia. »Die mißtrauischen, ewiggestrigen Bewohner der Inneren Wüste fürchten sich vor der ökologischen Umwälzung. Sie ...«
»Ich verstehe, Ghadhean«, sagte Jessica. »Wenn die Würmer verschwinden, existiert auch das Gewürz nicht mehr. Und wenn das Gewürz nicht mehr da ist was haben wir dann noch, um unsere Position zu halten?«
Laute der Überraschung. Überall in der Großen Halle konnte Jessica die Menschen erschreckt einatmen und flüstern hören. Der Raum warf das Echo mehrfach zurück.
Alia zuckte die Achseln. »Das alles ist überflüssiges Geschwätz!«
Al-Fali hob die Hand, deutete auf Alia und sagte: »Ich spreche mit der Mutter der Feuchtigkeit; nicht mit der Coan-Teen!«
Alias Hände zuckten zu den Armlehnen ihres Throns, aber sie blieb sitzen.
Al-Fali sah Jessica an. »Einst nannte man dies das Land, in dem nichts wuchs. Jetzt haben wir Pflanzen. Sie vermehren sich wie die Maden auf dem Aas. Es hat selbst am Äquator des Planeten Wolken und Regenfälle gegeben. Regen, Mylady! Oh, Mutter Muad'dibs – so gewiß der Schlaf der Bruder des Todes ist, so ist es der Regen für Arrakis! Er bringt uns allen den Tod.«
»Wir tun lediglich das, was Muad'dib und Liet-Kynes uns zu tun aufforderten«, protestierte Alia. »Was soll das ganze Gerede? Wir folgen den Worten Liet-Kynes, der einst sagte: ›Ich wünsche, daß dieser Planet eines Tages von grünen Pflanzen bedeckt sein wird‹. Und so wird es geschehen.«
»Was wird aus den Würmern und dem Gewürz?« fragte Jessica.
»Es wird immer irgendwo etwas Wüste geben«, erwiderte Alia. »Die Würmer werden überleben.«
Sie lügt, dachte Jessica. Warum tut sie das?
»Hilf uns, Mutter der Feuchtigkeit«, flehte al-Fali.
Mit einem plötzlichen Ruck setzte Jessicas Bewußtsein eine geistige Bewegung in Kraft als hätten die Worte des alten Naib eine Maschinerie zum Leben erweckt. Es war das Adab, die intuitive Erinnerung, die sich selbst einem Menschen aufdrängte, ohne daß er dazu etwas beitragen mußte. Das Adab kam ganz plötzlich über sie und führte ihrem inneren Auge Dinge vor, die sie vor langer, langer Zeit gelernt hatte. Sie ging förmlich in diesem Wissen auf, fühlte sich wie ein Fisch im Netz. Sie gab sich der Erkenntnis hin, setzte ihr keinen Widerstand entgegen.
Alia log, weil sie von jemandem beherrscht wurde, dessen Ziel es war, die Atreides zu vernichten. Sie selbst stellte das erste Opfer dar. Also sprach al-Fali die Wahrheit: Wenn der Kurs der derzeitigen ökologischen Umwälzung nicht korrigiert wurde, waren auch die Sandwürmer verloren, zum Untergang verurteilt.
Unter dem Druck dieser Erkenntnis sah Jessica die Bewegungen der Anwesenden wie in Zeitlupe. Die Rolle eines jeden wurde ihr klar. Sie erkannte diejenigen, die dafür zu sorgen hatten, daß sie diesen Saal nicht lebend verließ, mit einem Blick. Aber auch der Weg, der ihr die Möglichkeit zur Flucht gab, lag vor ihr, als werde er von Scheinwerfern beleuchtet: Es gab Möglichkeiten, die Leute zu verwirren, sie stolpern zu lassen und dafür zu sorgen, daß sie sich einander im Weg waren, wenn es hart auf hart ging. Und ebenso sah sie die Möglichkeit, daß sie diesen Raum nur verlassen würde, um in die Hände anderer zu fallen. Alia schien sich überhaupt nicht darüber zu sorgen, daß sie mit Jessicas Ermordung eine Märtyrerin schuf. Nein – das Ding, das sie kontrollierte, sorgte sich nicht darum.
Jessica nutzte die Gelegenheit der nur für ihr Bewußtsein existierenden Zeitverlangsamung, um sich die Chancen auszurechnen, den
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