Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
den Wurm hörte, der durch das Geräusch seines Klopfers angelockt worden war und jetzt die Körper der beiden Tiger unter einer Welle von Sand begrub. Er stellte ein gutes Omen für den Anfang ihres Plans dar: Würmer waren in diesem Gebiet sehr selten geworden. Seine Anwesenheit würde ihnen helfen: Sie würde eine Erklärung dafür liefern, daß sein Körper niemals aufgefunden wurde.
Zu dieser Zeit wußte er, daß Ghanima sich bereits selbst so weit beeinflußt hatte, daß sie tatsächlich glaubte, er sei tot. Nur eine winzige Erinnerung an ihn würde in einem Winkel ihres Gehirns zurückbleiben; verborgen und umgeben von einer undurchdringlichen Mauer des Schweigens. Und nur er selbst würde in der Lage sein, sie zu durchbrechen, indem er zwei Worte einer uralten Sprache benutzte, die außer Ghanima und ihm selbst keinem Menschen im ganzen Universum mehr geläufig waren. Secher Nbiw. Wenn sie diese Worte hörte ... nur dann würde sie sich an ihn erinnern. Sie bedeuteten Der Goldene Pfad ... Und bis dahin würde er für sie wirklich tot sein.
Zum erstenmal im Leben fühlte Leto sich wirklich allein.
Er bewegte sich mit einer Schrittfolge, die lediglich natürliche Nachtgeräusche der Wüste imitierte. Nichts an der Art seiner Fortbewegung würde dem Wurm verraten, daß sich hier ein Mensch bewegte. Er beherrschte sie so, daß er nicht einmal darüber nachdachte. Die Füße bewegten sich ganz von selbst und erzeugten keinen erkennbaren Rhythmus. Jedes Geräusch, das sie hervorriefen, konnte entweder dem Wind oder der Schwerkraft zugeschrieben werden. Hier bewegte sich kein Mensch.
Nachdem der Wurm seine Arbeit getan hatte, versteckte Leto sich hinter einem Dünenkamm und warf einen Blick auf den ›Begleiter‹ zurück. Ja, er war nun weit genug entfernt. Er installierte den Klopfer und wartete ab. Der Wurm kam rasch und ließ Leto genug Zeit, seine Position einzunehmen, bevor er den Klopfer fand. Ehe das Tier sich versah, traten Letos Haken in Aktion, und er befand sich auf seinem Rücken. Noch ehe der Wurm begriff, was mit ihm geschehen war, befolgte er auch schon die Anweisungen seines Reiters und raste in südöstlicher Richtung in die Wüste hinaus. Es war ein kleiner Wurm, aber er war kräftig. Leto merkte es daran, wie er über die Dünen hinwegfegte. Die kalte Brise ließ ihn die heiße Nacht vergessen.
Sowie der Wurm sich bewegte, bewegten sich auch Letos Gedanken. Es war Stilgar gewesen, der ihn zum erstenmal auf eine Wurmreise mitgenommen hatte. Er brauchte lediglich seine Erinnerungen fließen zu lassen, um Stilgars Stimme zu hören: Kühl und überlegen, präzise und freundlich. Und dabei gehörte er einem ganz anderen Zeitalter an. Sie hatte keine Ähnlichkeit mit der polterigen Ausdrucksweise des Mannes, der gelegentlich dem Gewürzlikör frönte – nein, mit dem Stilgar dieser Tage hatte sie nichts zu tun. Er war damals der Unterweiser gewesen, der ihnen Geschichten erzählte hatte: »In den alten Zeiten benannte man die Vögel nach ihren Liedern. Jeder Wind hatte seinen Namen. Den einen nannte man Pastaza, den anderen Cueshma und wieder einen anderen Heinali – Heinali, den Menschenzermalmer. Und dann gab es noch den Wind des Dämons der offenen Wüste: Hulasikali Wala: der Wind, der Fleisch frißt.«
Und Leto, der diese Dinge bereits vorher gewußt hatte, hatte stolz und dankbar genickt.
Aber Stilgars Stimme konnte auch von anderen Dingen berichten.
»In diesen alten Zeiten gab es bestimmte Stämme, die man als Wasserjäger bezeichnete. Man nannte sie die Iduali, was ›Wasserinsekten‹ bedeutet, weil diese Leute nicht einmal davor zurückschreckten, das Wasser anderer Fremen zu stehlen. Wenn sie jemanden in der Wüste trafen, töteten sie ihn und nahmen seine Körperflüssigkeit, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, daß es seinem Stamm zustand. Und es gab einen Ort, an dem sie lebten, der Sietch Jacurutu. Schließlich schlossen sich die anderen Stämme zusammen und rotteten die Iduali aus. Es ist lange her und fand noch vor Kynes statt, in jenen Tagen, als mein Ur-Urgroßvater noch lebte. Seitdem ist kein Fremen mehr nach Jacurutu gegangen. Der Ort ist tabu.«
So war Leto auf eine Erinnerung gestoßen, die tief in seinem Unterbewußtsein schlummerte. Was die Funktionsweise eines Gedächtnisses anbetraf, war dies für ihn eine wichtige Lektion. Aber ein Gedächtnis war nicht genug, wenn man mehr über Jacurutu erfahren wollte, ohne jemals dagewesen zu sein. Jacurutu würde
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