Dune 04: Der Gottkaiser des Wüstenplaneten
drang hinter seiner rechten Schulter Sionas Stimme hervor: »Was machen Sie da?« Sie war lautlos herangekommen und sah dorthin, wo auch er hinsah.
»Ich kann den Wall erklettern«, sagte Idaho. »Wenn ich ein leichtes Seil mitnehmen würde, könnte ich ein stärkeres hinaufziehen. Und für die anderen wäre der Rest dann ein Kinderspiel.«
Garun tauchte auf. Er hatte Idahos Worte gehört.
»Warum würden Sie den Wall besteigen, Duncan Idaho?«
Siona lächelte und sagte an Idahos Stelle: »Um dem Gott-Kaiser einen passenden Empfang zu bereiten.«
Dies war vor ihren Zweifeln gewesen, bevor ihre eigenen Augen und die Unkenntnis, was derartige Kletterpartien anbetraf, ihre erste Zuversicht ausgehöhlt hatten.
Im Zuge der anfänglichen Begeisterung hatte Idaho gefragt: »Wie breit ist die kaiserliche Straße dort oben?«
»Ich habe sie niemals gesehen«, sagte Garun. »Aber man hat mir erzählt, daß sie sehr breit ist. Eine große Truppe, so sagt man, kann Schulter an Schulter darüber hinwegmaschieren. Und es gibt Brücken, Punkte, von denen aus man den Fluß sehen kann und ... und ... oh, es ist wundervoll!«
»Warum sind Sie nie hinaufgegangen, um es sich selbst anzusehen?« fragte Idaho.
Garun zuckte lediglich die Achseln und deutete auf den Wall.
Dann tauchte Nayla auf, und die Auseinandersetzung um die Kletterpartie nahm ihren Anfang. Während Idaho weiterkletterte, dachte er darüber nach. Wie eigenartig, diese Beziehung zwischen Nayla und Siona! Sie waren wie zwei Verschwörerinnen – und doch wieder nicht. Siona erteilte Befehle, und Nayla gehorchte. Aber Nayla gehörte zu den Fischrednern, sie war die Freundin, die Letos Vertrauen besaß und als erste den neuen Ghola überprüft hatte. Sie hatte zugegeben, seit ihrer Kindheit in kaiserlichen Diensten gewesen zu sein. Welche Kraft in ihr steckte! Wenn man berücksichtigte, wie stark sie war, war es irgendwie unnatürlich, daß sie sich auf eine solche Weise Sionas Willen beugte. Man konnte beinahe den Eindruck gewinnen, als würde sie einer inneren Stimme lauschen – und erst dann Siona gehorchen.
Idaho langte nach oben, suchte einen neuen Halt. Seine Finger tasteten über den Fels, gingen nach oben und nach rechts und fanden endlich einen fast unsichtbaren Spalt, in den sie eindringen konnten. Seine Erinnerung setzte voraus, daß es auf natürliche Weise bergauf ging, aber sein Körper konnte sich dessen nur sicher werden, indem er dieser Linie folgte. Idahos linker Fuß fand einen Vorsprung ... aufwärts ... aufwärts ... langsam, prüfend. Jetzt die linke Hand hoch ... Kein Felsspalt, aber ein Vorsprung. Erst erhoben sich seine Augen und dann sein Kinn über den hohen Vorsprung, den er von unten gesehen hatte. Er brachte seine Ellbogen über den Rand, zog sich hinauf, ruhte sich aus und sah weder in die Ferne noch nach oben oder unten. Der Horizont da draußen war aus Sand, und eine staubgefüllte Brise begrenzte den Ausblick. In den Tagen des Wüstenplaneten hatte er viele Horizonte dieser Art gesehen.
Idaho wandte sein Gesicht schließlich dem Wall zu, erhob sich auf die Knie, langte mit den Händen nach oben und setzte seinen Aufstieg fort. Das Abbild der Felswand verblieb so in seinem Bewußtsein, wie er es von unten gesehen hatte. Er brauchte nur die Augen zu schließen, dann hatte er alles vor sich und kannte den Weg, den er sich eingeprägt hatte – wie jenes Kind, das sich vor den Sklavenjägern der Harkonnens versteckt hatte. Seine Fingerspitzen fanden einen Spalt, in den sie sich hineinzwängen konnten. Er bahnte sich mit seinen Klauen den Weg nach oben.
Nayla, die ihm von unten aus zusah, verspürte eine zunehmende Verwandtschaft mit dem Kletterer. Aufgrund der Entfernung war Idaho inzwischen zu einem kleinen und einsamen Fleck auf der großen Wand geworden. Er mußte wissen, wie es war, wenn man allein momentane Entscheidungen zu treffen hatte.
Ich würde gerne ein Kind von ihm haben, dachte sie. Ein Kind von ihm und mir würde stark und selbstsicher sein. Was ist es wohl, das Gott von einem Kind Sionas und dieses Mannes erwartet?
Nayla war vor dem Morgengrauen aufgewacht und hatte den Kamm einer in Dorfesnähe gelegenen Düne erklommen, um über das nachzudenken, was Idaho vorgeschlagen hatte. Es war ein milchiger Morgen gewesen, mit dem allseits bekannten Wind, der in der Ferne den Staub aufwirbelte. Dann war der stählerne Tag gekommen und mit ihm die unheilvolle Grenzenlosigkeit der Sareer. Da hatte sie gewußt, daß diese
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